Nebelgrab (German Edition)
verzeichnet, eine Reihe Geburtstage, unter anderem auch von Adrians Tante, und der Todestag von Sophie, der sich in jenem Herbst zum sechsten Mal jährte. Konrad Wiedener hatte sich demnach immer noch den alten Freunden verbunden gefühlt, obwohl kein persönlicher Kontakt mehr gepflegt worden war.
Adrian erreichte nach halbstündiger Fahrt das vornehme Kaiserswerth. In der Nähe der Basilika lebte Professor Hecker in einem vergleichsweise bescheidenen Haus. Zumindest brauchte sich Adrian nicht weiter zu wundern, wie sich ein Professor eine solche Wohngegend leisten konnte, wenn das Haus so schlicht aussah. Er staunte nicht schlecht, als kurz nach ihm ein weiteres Auto am Straßenrand parkte und eine Frau eilig zum Heckerhaus lief. Es war Marie Lorenz. Adrian blieb sitzen und beobachtete. Die Frau klingelte, klingelte nochmal und klingelte auch ein drittes Mal. Dann öffnete ein Mann, den Adrian als den älteren der beiden Heckers identifizierte. Frau Lorenz schien eine Tirade auf ihn abzufeuern. Herr Hecker trat einen Schritt zurück, schüttelte den Kopf und schien dann auf die Frau einzureden. Er schloss plötzlich die Tür und ließ Frau Lorenz stehen. Wenig später öffnete sich die Tür wieder und der Sohn stand im Rahmen. Der bat sie mit einer einladenden Bewegung herein. Keine zehn Minuten später trat die Heimleiterin wieder aus dem Haus, stieg ins Auto und brauste davon.
Beeindruckend, dachte Adrian, sehr beeindruckend. Um noch ein Weilchen verstreichen zu lassen, bevor er selber am Heckerhaus klingelte, nahm er sich die Papiere hervor, die er Frau Stein mit seinem Charme abgeschwatzt hatte.
In den 50er Jahren
»Die Linde wird nun endgültig gefällt, Lene, wir müssen die Tasche holen.«
»Ach, Hubert, am besten lässt du die Tasche auf Nimmerwiedersehen verschwinden. Ich mag nicht mehr über diese Dinge nachdenken.«
»Ich weiß, trotzdem werde ich sie morgen holen. Übermorgen wird der Baum gefällt.«
»Morgen ist Karfreitag.«
»Ja und? Der beste Tag für diese Aktion. Kaum jemand wird im Wald sein. Vertrau mir, Lene, ich werde sie einfach nach Hause holen und auf dem Dachboden verstecken.«
»Dann sieh zu, dass deine Kinder sie nicht finden.«
»Werden sie schon nicht. Ich werde sie auch nicht lange zu Hause behalten. Konrad hat sich gemeldet.«
»Ach, der Konrad? Der uns schon seit Jahren hängenlässt? Von wegen Professor und Fotos und der einzige, dem ich vertraue. Großes Blabla. Den brauchst du wirklich nicht nochmal zu bemühen.«
»Ja, Lene, es ist alles nicht so geworden, wie wir uns das dachten. Aber Konrad hat geschrieben und dieses Mal hat er wirklich mit seinem Professor über unseren Fund gesprochen. Der Professor war sehr erstaunt, hörst du? Sehr erstaunt! Man will nun weiterforschen. Alles Weitere will er mir persönlich sagen.«
Lene legte den Hörer des Tischtelefons auf die Gabel und bedankte sich bei ihrer Nachbarin dafür, dass sie den Apparat hatte nutzen dürfen. Ohne einen weiteren Gedanken an die heilige Irmgard zu verschwenden, wandte sie sich in ihrer eigenen Wohnung einer Modezeitung zu. Sie wollte sich nicht wieder aufregen, denn das letzte Mal, als alle beisammen gesessen hatten und über das Schicksal der Schmuckstücke und des Schädels beraten hatten, war es zum Krach unter den Freunden gekommen und es hatte lange gedauert, ehe sie sich wieder versöhnt hatten. Schließlich hatte Hubert in einer nächtlichen Aktion die Tasche im Hohlraum der Linde vor der Irmgardiskapelle versteckt. Zum einen hatte er wieder einmal gemeint, die Dinge seien am besten im Schutze der heiligen Irmgard selbst aufgehoben, zum anderen hatte Lene den starken Verdacht gehabt, er hoffe auf Entdeckung der Tasche durch irgendeinen Spaziergänger, um so der weiteren Verantwortung zu entgehen.
Sie hatte ihn gewähren lassen, weil auch sie es müde geworden war, über das Schicksal der Gegenstände nachzudenken. Martha war nicht einverstanden gewesen, und Sophie auch nicht. Martha hatte alles über die Fundstücke wissen wollen und sie hätte keine Ruhe gegeben, wenn nicht ihre Verliebtheit zu Konrad dazwischengefunkt hätte. Konrad und sie hatten sich einige Monate lang fast täglich gesehen. Sie waren sogar zusammen über mehrere Tage im Urlaub gewesen. Alles andere war ihnen wichtig gewesen, aber sicher nicht das Schicksal einer kleinstädtischen Heiligen.
Konrad hatte über lange Zeit die Verbindung zu seinem Professor verloren und irgendwann hatte Hubert aufgehört zu fragen.
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