Nebelgrab (German Edition)
bescheren sollte, denn ihr Liebster musste sein Studium zu Ende bringen, bevor er Lene zum Traualtar führen wollte. Die Zeit nach dem Studium war noch so ungewiss, dass Lene eine Sicherheit in Form von Geld ihr eigen nennen wollte. Unsicherheiten hatte sie genug erlebt. Dass sie Pläne für die Zukunft machen konnte, empfand sie als so lebendig und fast unverdient, dass sie manchmal meinte, vor lauter Glück nicht atmen zu können.
Es gab eine Diskrepanz zwischen den freien Gefühlen, die die jungen Leute entwickelten, und der gesellschaftlichen Enge in den 50er Jahren. Überschüssige Energien wollten ihr Ventil, das manche beim Tanzen fanden. Lene, die immer gerne getanzt hatte, wurde eine begeisterte Freizeittänzerin und übte sich ungehemmt im Lindy Hop, bevor sie zur versierten Boogie-Woogie-Tänzerin wurde.
Die Kirche schrieb vor, Liebesbeziehungen erst nach der Eheschließung zu vollziehen. Die Öffentlichkeit tat ihr Übriges. Obwohl Lene auch jetzt noch fromm und ehrfürchtig lebte, versuchte sie, ihr Temperament im Tanz auszudrücken. Und jene Art des Ausdrucks begeisterte einen jungen Krefelder dermaßen, dass schnell ein Eheversprechen daraus wurde.
Das Leben hatte sich seine Bahnen im Nachkriegsdeutschland gesucht. Das freiere Atmen, das Entwickeln, das Wirtschaftswunder, die Vorbildfunktion von Amerika beschäftigte die Menschen, beruhigte und formte sie. Das Leben, das nicht mehr unmittelbar von Existenzangst bedroht war, das lustige und schöne Seiten bewies, sollte nicht gestört werden.
Doch da war immer noch die unerledigte Sache mit dem Vermächtnis des Soldaten Karl …
Hubert sah Konrad erwartungsvoll an, als sie sich nach Ostern auf ein Bier im »Brunnen« trafen. Konrad hatte sich in Süchteln niedergelassen und entschuldigte sich umfangreich dafür, dass sein Haus noch keine Gäste beherbergen könne. Es sei noch vollständig kahl.
»Nun ja, vielleicht hilft dir bald eine Frau bei der Einrichtung«, scherzte Hubert und schlug ihm in alter Manier auf die Schulter. Gleichzeitig zwinkerte er der jungen Bedienung zu, die kam, um die Bestellung aufzunehmen.
»Hubert, ich habe lange mit Professor Hausermann gesprochen und er möchte deine Tasche unbedingt in Augenschein nehmen, bevor er Aussagen zur Herkunft machen kann. Außerdem hat er schon Kontakt mit einem Düsseldorfer Antiquitätenhändler aufgenommen, mit dem er schon öfter Geschäfte gemacht hat. Dieser Händler hat auch sehr großes Interesse, da es für mittelalterliche Funde einen breiten Markt gibt. Das Ganze ist allerdings nicht unproblematisch, denn die Kirche könnte Ansprüche anmelden.«
»Du meinst, wir handeln illegal, wenn wir die Sachen verkaufen?«
»Ganz sauber ist es nicht. Hausermann hat sich nicht genau geäußert, was eigentlich ein eindeutiges Zeichen ist. Aber wenn ihr Geld aus der Sache schlagen wollt, dann solltet ihr die Dinge loswerden. Und Hausermann kümmert sich um die Kontakte.«
»Und sein Lohn?«
»Ein kleiner Prozentsatz, nicht der Rede wert.« »Und was ist mit seiner Reputation? Hat er gar kein Berufsethos?«
»Natürlich! Es ist ja nicht so, dass die Kette eingeschmolzen wird. Sie bleibt erhalten und kommt lediglich an einen Ort, an den sie vielleicht vom hiesigen Klerus nicht gebracht werden würde.« Seine Stimme bekam einen harmlosen Unterton.
Hubert kratzte sich langsam sein Kinn. »Das heißt also, die Geschichte der heiligen Irmgard würde keinen Schaden erleiden, wenn wir es so machen?«
»Auf keinen Fall! Es würde hier niemand davon erfahren.«
»Das wäre gut. Du weißt ja, meine Cousine legt großen Wert darauf. Und was ist mit dir? Was möchtest du aus der Geschichte rausschlagen?«
Konrad rückte ein wenig auf seinem Stuhl hin und her. Er wartete mit der Antwort, bis die Kellnerin zwei Bier auf den Tisch gestellt hatte.
»Ich will gar nichts, bis auf … nun ja, du könntest ein gutes Wort bei Martha für mich einlegen.« Er sah Hubert fast scheu an.
»Da wäre es mir fast lieber, du wolltest Kohle haben – mein lieber Herr Gesangsverein, das wird nicht einfach! – Prost!«
Sie tranken und setzten die Gläser wieder ab. Hubert wischte sich den Schaum von den Lippen und sagte: »Also gut, wann und wo können wir Professor Hausermann treffen?«
Professor Hausermann
Er war Hubert auf Anhieb unsympathisch. Professor Hausermann gab Hubert Becker eine weiche, feuchte Hand zur Begrüßung.
»Sie sind also der junge Mann, der sich bislang nicht getraut hat, der
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