Nebelriss
der Stein
und goldumflossen
stürzt der Narr, der sich erhob
zum selbst erwählten Knecht der Macht.«
»Hört auf damit!«, bat der Erzprior. Er versuchte sich aus den Griffen der Bathaquari zu befreien; doch sie rückten dichter an ihn heran und fuhren flüsternd fort:
»Der Schleier fällt
und tosend steigt das Salz in alte Wunden
zerreißt ein Schaf das nächste voller Gier
Glut geht auf Wanderschaft
brennt sich durch seine alten Pfade
so büßt die Welt den feigen Raub der Ahnen
denn sie vergaß, sich ihrer Sünden zu ermahnen
Der Kreis zerbricht
und nur ein Glied der Kette trotzt dem Sturm.
Tinte verblasst
und auch der Glanz des Silbers
Wer hat die Macht, ins Hörn zu rufen,
das diese Schwaden bannt?
Zwei sind es, die dem Schmerz entwuchsen,
die einen unsichtbaren Weg beschreiten
und dem Blick des Bronzegottes widerstehen.
Einer errettet aus der Finsternis
und einer aus den Flammen
und beide zweifelnd an dem Band, das sie vereint.
Einer dazu bestimmt, die rote Herrin zu erlösen
die in den Trümmern ihrer Stadt begraben liegt;
der andere, den Weltenwanderer zu blenden,
den Meister aller Masken, Dieb des schwarzen Schlüssels,
der dunkle Pfade in die Nebellande schlug.
Einer dazu bestimmt, das Leid zu tragen,
der andere, die Schatten zu zerschlagen,
bis dass der Rosenstock
in neuen Dornen neu erblüht.«
»… in neuen Dornen neu erblüht«, flüsterte Bars Balicor. Unwillkürlich hatte er die letzten Verse mitgesprochen. »Die Prophezeiung des Bathos«, sagte Rumos. »Wir haben sie all die Jahrhunderte hindurch bewahrt, ohne ihren Sinn zu kennen. Doch nun erschließt sich uns langsam die Wahrheit. Die Goldei sind in unsere Welt zurückgekehrt, so wie der Prophet es vorhersagte. Der Schleier fällt, und der Weltenwanderer spinnt im Verborgenen seine Intrigen, um die Welt seinem Willen zu unterwerfen. Das Zeitalter der Wandlung, vor dem Bathos uns warnte, hat begonnen.«
»Das unsinnige Gestammel eines Wahnsinnigen«, rief Bars Balicor. »Bathos war ein großer Zauberer, und zweifellos war seine Kritik an der Tathrilya berechtigt. Doch er war kein Prophet! Seine späten Schriften, die er im Kerker verfasst hat, sind im Wahn entstanden, geboren aus der Einsamkeit und geprägt von den Martern, die er erleiden musste.«
Rumos versetzte Bars Balicor mit dem Ellenbogen einen heftigen Stoß in den Magen. Würgend brach der Erzprior zu Boden, krümmte sich und rang nach Luft. »Wie kannst du es wagen, den Propheten zu schmähen?«, rief Rumos hasserfüllt. »Seine Worte werden uns vor den Goldei retten! Wir müssen die Botschaft entschlüsseln und unsere Aufgabe erfüllen, für die Tathril uns auserwählt hat.«
»Was … willst du von … mir?«, stieß Balicor keuchend hervor.
»Bekenne dich zu unserer Gemeinschaft!«, beschwor Rumos ihn. »Kehre in unsere Mitte zurück! Bald wirst du das Amt des Hohepriesters übernehmen; dann wirst du unsere Hilfe brauchen. Deine Zauberkunst ist in all den Jahren nicht stärker geworden, und die Quelle unter dem Berg Arnos ist ungleich gewaltiger als jene in Miras Are. Auf Morthyl mochten deine jämmerlichen Künste ausreichen, doch der Quelle des Brennenden Berges bist du nicht gewachsen.«
Balicor wusste diesen Worten nichts entgegenzusetzen. Tatsächlich fürchtete er sich schon seit langem vor der Quelle von Arnos, die schon manchen Priester in den Tod gerissen hatte. Oft hatte er sich gefragt, ob er überhaupt dazu fähig war, dem Auge der Glut gegenüberzutreten. Doch er hatte diese Gedanken stets verdrängt; hatte sich eingeredet, dass sich eine Lösung für dieses Problem finden werde, wenn Magro Fargh erst einmal verschieden war.
»Werde wieder zu einem Bathaquari«, rief Rumos voller Leidenschaft. »Wir werden dich zu einem Hohepriester machen, wie ihn die Welt seit Jahrhunderten nicht gesehen hat. Wir werden die Quelle ein zweites Mal unterwerfen! Unsere Rituale werden Sithar bis ins Mark erschüttern! Und während die Welt unter dem Ansturm der Goldei in Trümmer fällt, werden wir uns auf den Anbeginn einer neuen Zeit vorbereiten!« Balicor richtete sich langsam auf. »Noch bin ich nicht Hohepriester. Zwar sagen die Ärzte, dass Magro Fargh das Ende des Jahres nicht mehr erleben wird, aber …«
Rumos winkte ab. »Ich sah den Greis vor einigen Tagen. Er ließ sich von einem jungen Priester zu einer Sänfte begleiten, die ihn nach Arnos trug. Sein Gesicht war vom Tod gezeichnet; die Blaufäule wuchert in ihm, und sein Körper zeigt die Male des baldigen
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