Nebelriss
Vergehens! Du wirst in wenigen Wochen sein Amt übernehmen; und mit dir wird die Bathaquar zur Quelle von Arnos zurückkehren. Schon einmal hat sie uns gehört; damals, als wir uns von der Tathrilya lossagten und ihr den Krieg erklärten. Hundertundvierzig Jahre war das Auge der Glut in unseren Händen, bis wir es törichterweise im Aufstand gegen die Kaiserin Tira Aldra verloren. Doch nun wird uns die Quelle erneut gehören - uns, Balicor!« Er streckte dem Erzprior die Hand hin. »Was du mir angetan hast, war ein übler Verrat. Doch ich will alle Rachegedanken vergessen. Sei wieder einer der unseren! Tritt unserem Bund bei, besiegele ihn mit dem Blut deiner Lippen und den Worten der Prophezeiung!«
»Bleibt mir denn eine andere Wahl?«, entgegnete Bars Balicor.
Rumos schüttelte den Kopf. »Das Zeitalter der Wandlung lässt uns nur eine Wahl - wir können leben oder sterben, wir können herrschen oder untergehen! Dies ist Tathrils Wille. Er kennt keine Gnade, und die Prüfung, die er der Welt auferlegt, wird eine grausame sein.«
Leben oder sterben, herrschen oder untergehen!
Balicor strich sich die filzigen Haare aus dem Nacken.
Es gibt keine andere Möglichkeit! Dieser Irrsinnige wird dich töten, wenn du dich nicht auf seine Seite stellst. Doch wer weiß, vielleicht ist es von Vorteil; vielleicht kann mir die Bathaquar gute Dienste leisten. Mit ihrer Hilfe werde ich die Kirche formen, wie es mir gefällt, und ich kann die Quelle bändigen, ohne mir Sorgen um mein Leben machen zu müssen.
»Deine Worte überzeugen mich«, sagte er schließlich. »Doch wie kann ich den Schwur leisten, wenn ich an den Worten des Propheten zweifle? Überzeuge mich von der Wahrheit der Prophezeiung, und ich will der Bathaquar beitreten.«
»Du wirst ihre Wahrheit bald erkennen«, antwortete Rumos und wandte sich herablassend von dem Erzprior ab. »Sieh mich an! Du hast mich getötet, doch Tathril hat mich wieder zum Leben erweckt. Es ist ein Wunder, und andere Wunder werden folgen.« Er wies auf den schwarzen Abdruck der Finger, der sich in die Marmorsäule eingebrannt hatte. »Dieses Zeichen wird dich an meine Worte erinnern. Das Zeitalter der Wandlung hat begonnen!«
Als Jundala Geneder das Gemach Arkon Fhonsas betrat, fand sie den Fürsten über einen wüsten Haufen Schriftstücke gebeugt vor. Die marmorne Tischplatte war ganz unter der Masse der Pergamentbögen, der ausgebreiteten Schriftrollen und Oktavbücher verschwunden. Eine wie auch immer geartete Ordnung war nicht zu erkennen; es war nur zu offensichtlich, dass Fürst Arkon, der sich nun mit gequältem Gesicht hinter dem Tisch erhob, jegliche Übersicht über dieses Chaos verloren hatte.
»Fürstin Jundala«, rief er, und ein Lächeln umspielte seine Lippen. »Es ist mir eine Ehre, Euch in diesen bescheidenen Räumen willkommen heißen zu dürfen!«
Jundala Geneder war eine große, schlanke Frau von etwa dreißig Jahren. Die blond gelockten Haare reichten ihr bis zu den Schultern und umrahmten ein ebenmäßiges, wenn auch nicht wirklich attraktives Gesicht; das Kinn ein wenig zu spitz, die Nase etwas zu klein. Doch dies wurde durch die außergewöhnliche Schönheit ihrer Augen ausgeglichen. Sie waren groß und von einem dunklen, kräftigen Blau. Die aufmerksamen Blicke, mit denen sie ihr Gegenüber musterte, verrieten ihre ausgeprägte Klugheit.
Jundala war die Tochter eines mächtigen ganatischen Adeligen, des Barons von Bolmar. Bolmar lag im Süden Ganatas; mehrere wichtige Handelsstraßen nach Troublinien führten durch diesen Landstrich. Die Bolmarer waren berüchtigt für ihr Selbstbewusstsein und ihre starrköpfige Ablehnung jeglicher Einflussnahme des Silbernen Kreises. Selbst gegenüber ihrem Fürsten in Gehani verhielten sie sich hochmütig und aufsässig. Baniters Vater hatte mit den Baronen von Bolmar lange im Streit gelegen - ein Streit, der erst durch Baniters Vermählung mit Jundala beigelegt worden war. Durch die Heirat war es dem jungen Fürsten gelungen, die störrische Baronie zu bändigen. Und er hatte es nicht bereut, Jundala von Bolmar zur Frau genommen zu haben. Sie war ihm an Intelligenz und Scharfzüngigkeit ebenbürtig und hatte seinen ohnehin stark ausgeprägten Ehrgeiz zusätzlich angestachelt.
»Es freut mich, dass Ihr endlich eingetroffen seid«, sagte Fürst Arkon. Mit einer eleganten Verbeugung bat er sie, am Tisch Platz zu nehmen. »Ihr wurdet sicher von dem Entschluss Eures Gemahls, die Gesandtschaft nach Arphat anzuführen,
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