Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nebelriss

Nebelriss

Titel: Nebelriss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markolf Hoffmann
Vom Netzwerk:
gekrümmt, mit kreuzförmigen Einkerbungen versehen, bedeckt von einer nassschwarzen, seifigen Substanz. Angewidert ergriff Baniter einen der Strünke und zog ihn zu sich heran, um die Blüte aus der Nähe betrachten zu können.
    »Lasst besser die Finger davon, Luchs von Ganata!«
    Baniter fuhr herum. Eine Stimme war hinter ihm erklungen - doch da war niemand! Verwirrt suchten seine Augen das Dickicht ab.
    »Hat Euch niemand vor der Schönheit fremder Blüten gewarnt?« Wieder schienen die Worte in seiner unmittelbaren Nähe gesprochen zu werden. »Wisst Ihr nicht, wie gefährlich sie sein können? Ich hatte den Luchs von Ganata für vorsichtiger gehalten!« Ein helles Lachen löste den letzten Satz ab; das Lachen einer jungen Frau.
    Nun erst entdeckte er sie! Hinter dem Geflecht der wirren Pflanzenarme, kaum eine Armeslänge von ihm entfernt, war ein Augenpaar zu sehen: große dunkle Augen, nussbraun, in ihrer Mitte zwei schwarze Pupillen, in denen Baniter sein Spiegelbild erkannte. Die Haut unter ihren Augenlidern lag auf den Wangenknochen wie seidener Stoff, ein hellbrauner Schimmer, gebrochen vom Schattenwurf der Pflanzen. Der Rest ihres Gesichts verschwand hinter den Blättern eines Farns, der sich zwischen den Blütengewächsen emporwand. »Ich ging nicht davon aus, dass sich die arphatische Königin mit gefährlichen Pflanzen umgibt«, sagte Baniter langsam, gefesselt von ihrem Blick.
    Ihre Pupillen verengten sich. »Gefährlich nur für den Unwissenden. Ich kenne jedes Gewächs in meinem Garten.« Sie bewegte den Kopf, und das Augenpaar verschwand hinter den Farnen. Baniter hielt den Atem an. Er lauschte dem Rascheln des Dickichts - und fuhr erschrocken zusammen, als sich eine Hand auf seine Schulter legte.
    Sie stand neben ihm, ein winziges Stück kleiner als er, den Kopf zur Seite geneigt, sodass ihr nachtschwarzes Haar offen zur Hüfte herabfiel. Es war dicht und ein wenig zerzaust, als hätte der Wind es umworben. Die Sonne verlieh ihm den verhaltenen Glanz dunklen Rots, einen purpurnen Hauch aus Licht. Sie trug ein schlichtes Leinengewand; der Stoff war abgetragen, an den Schultern klebten Erdbrocken. Ein Gürtel schnürte das Gewand um ihre schlanke Taille; darin steckte ein grün schimmernder Dolch, die Klinge gewunden wie eine Flamme. Und wie eine Flamme war auch ihr Körper geformt; die Hüften, die biegsame Taille, die vom Leinenstoff umschmiegten Brüste. Ihre Arme wirkten sehr kräftig; am Handgelenk, das auf Baniters Schulter ruhte, traten deutlich die Adern und Sehnen unter der olivfarbenen Haut hervor. Ihre nackten Füße, die unter dem Gewand hervorragten, waren schmal und verstaubt.
    »Was Ihr dort in den Händen haltet«, sagte sie leise, »ist die Blüte des Kubethibusches, den man auch den Atemfänger nennt - wisst Ihr, warum?« Ihre Hand löste sich von seiner Schulter und entwand ihm den Blütenstängel, den er noch immer umklammerte. Dann kniete sie sich zu Boden und zog die Blüte zu sich heran. Ihr Gesicht war von ovaler Form, mit hohen Wangenknochen und einem weichen Kinn. Die Haut war von einer angenehmen braunen Färbung; allein die Wangen waren leicht gerötet. Die Nase war klein und rund; sie verlieh ihrem Gesicht etwas Kindliches. Doch von besonderer Anmut war ihr Mund: breit und selbstbewusst, die Lippen sanft geschwungen. Im linken Mundwinkel war eine weißliche Narbe zu erkennen, die sich bis zum Ohr zog; sie schien wie die Fortführung des Lächelns, das auf ihren Lippen lag.
    Mit dem Zeigefinger der rechten Hand fuhr sie über den Stempel, der sich aus der Blüte krümmte. Das schwarz schillernde Sekret blieb an ihrer Fingerspitze haften. »Der Saft, den diese Blüte absondert, ist ein tödliches Gift, tödlicher als Ihr Euch vorstellen könnt!« Sie richtete sich auf und streckte Baniter den Finger entgegen. »Wollt Ihr kosten, Luchs von Ganata? Sein Geschmack wäre süß und angenehm; doch dieser winzige Tropfen würde Euch den sofortigen Tod bescheren!« Unwillkürlich wich Baniter zurück. Sie lachte, zog ihre Hand fort und hielt sich den Finger dicht vor den Mund. »Es wäre ein grausamer Tod. Minutenlang würdet Ihr Euch auf dem Boden krümmen und spüren, wie das Gift die Macht über Euren Körper ergreift, während es gleichzeitig Eure Sinneswahrnehmung ins Unerträgliche steigert. Es gibt nur wenige vergleichbare Schmerzen auf dieser Welt.« Spielerisch streckte sie die Zungenspitze aus, bis sie beinahe den Finger berührte. Nass schimmerte der Tropfen des Giftes

Weitere Kostenlose Bücher