Nebelriss
verraten und sich dem Südbund angeschlossen hatte. Dies war der Weg gewesen, den König Tarnac für sie vorgesehen hatte, und in blinder Treue hatte Ashnada ihn eingeschlagen, hatte in Tarnacs Namen geraubt und geplündert, gemordet und gefoltert.
›Meine Schwester‹,
so hatte er sie genannt,
›Blut von meinem Blut, Fleisch von meinem Fleisch‹
- um sie und ihre Gefährten an die Sitharer zu verraten, als sie ihm lästig geworden waren. »Ashnada! Wo bleibst du, bei Tathril?« Bars Balicors Stimme riss sie aus ihren Gedanken. Der Erzprior hatte den Weg zur Weihungshalle eingeschlagen; ungeduldig winkte er ihr zu.
Ashnada folgte ihm schweigend.
Es ist nicht der Eid, der mich an dich bindet, Balicor. Ich hätte in all den Jahren keinen Augenblick gezögert, ihn zu brechen, wenn ich nur gewollt hätte. Ich bin dir gefolgt, weil ich hoffte, eines Tages mit deiner Hilfe Rache nehmen zu können. Und ich werde nicht zögern, auch Rumos zu dienen, wenn er mich diesem Ziel näher bringt.
Sie überquerten den Hof, in dem heute nur wenige Novizen versammelt waren. Als sie den Erzprior erblickten, schlugen sie rasch die Augen zu Boden - ob aus Ehrerbietung, Schuldbewusstsein oder Aufmüpfigkeit, war schwer zu sagen. Balicor ignorierte sie. Er schritt geradewegs auf die Weihungshalle zu und wies die zwei wachhabenden Ritter an, ihm das Tor zu öffnen. »Bleib dich hinter mir«, zischte er Ashnada zu, bevor er eintrat. »Man kann nie wissen, was Rumos im Schilde führt.«
Ashnada folgte dem Erzprior durch das geöffnete Tor, die Hand auf dem Schwertgriff. Aus dem Innern der Weihungshalle schlug ihnen ein süßlicher Geruch entgegen, der Ashnada an faulende Pflanzen erinnerte. Schleier aus Rauch trübten ihre Sicht. Unter der Kuppel spannte sich ein purpurnes Tuch und färbte das einfallende Licht blutrot. Am Fuß der heiligen Säule erkannte Ashnada eine Schale mit schwelenden Zweigen, aus der sich neuer Rauch emporwand. Und inmitten der Schwaden standen weiß gewandete Gestalten, von denen eine durch ihre Größe auffiel - der Bettler, der troublinische Kaufmann, Rumos Rokariac, sofern dies sein richtiger Name war.
»Seht her! Welch hoher Besuch!«, hörte Ashnada ihn ausrufen. »Der Erzprior und seine Schwerthand.« Mit ausgebreiteten Armen schritt Rumos auf sie zu. »Wie es scheint, will der Herr des Tempels nach dem Rechten sehen.« Er blieb vor ihnen stehen, die Augen auf Balicor gerichtet. Sein altes Gesicht schimmerte im rötlichen Licht wie eine Maske.
»Was, bei Tathril, tust du hier?«, fauchte Bars Balicor. »Wie kannst du es wagen, ein offenes Feuer in der Nähe des Heiligtums zu entzünden? Das ist schwerer Frevel gegen die Gesetze der Kirche.«
»Die Gesetze der Kirche werden zurzeit ein wenig umgeschrieben«, gab Rumos zurück. »Mit den hohlen Ritualen der Tathrilya ist es ein für allemal vorbei. Es wird Zeit, dass dieses Heiligtum zum tatsächlichen Ort göttlichen Wirkens wird.« Er warf einen Blick auf Ashnada. »Du solltest deine blonde Meuchlerin in Zukunft nicht mehr in diesen Raum mitbringen, Balicor. Es könnte gefährlich für sie werden und sie mehr kosten als eine Hand.« Bars Balicor verzog abschätzig den Mund. »Ein Narr musst du sein, wenn du die Weihungshalle tatsächlich zur rituellen Stätte umwandeln willst. Die Sphäre des Tempels ist zu schwach, um mächtige Rituale zu wirken, und solange wir keinen Zugang zur Quelle haben …«
»Genau darüber wollte ich mit dir sprechen«, unterbrach Rumos ihn. »Die magischen Ströme, die vom Brennenden Berg fließen, sind in den letzten Tagen verdächtig schwach geworden. Mir kommt es so vor, als nabelte unser geschätztes Kirchenoberhaupt den Tempel heimlich von seiner Macht ab.«
»Ich habe nicht die leiseste Ahnung, was Magro Fargh in den verdammten Kammern von Arnos treibt«, stieß der Erzprior hervor. »Er antwortet auf keine meiner Anfragen, und seine Untergebenen schweigen hartnäckig. Es heißt jedoch, dass sein Zustand dramatisch sei. Angeblich kann er sich ohne Hilfe nicht mehr bewegen und Nahrung nur noch in flüssiger Form zu sich nehmen.« Er ballte die Fäuste. »Doch sterben will er nicht, bei Tathril; den Gefallen will er uns nicht tun!«
Rumos strich sich über den grauen Kinnbart. »Sein Tod ist unausweichlich, und das weiß er. Dennoch besitzt er die Unverfrorenheit, dem Tempel die magischen Ströme zu entziehen.«
»Ohne die Schutzzauber sind diese Mauern nicht zu halten«, gab Balicor zurück. »Es wird nicht das
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