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Nebelriss

Nebelriss

Titel: Nebelriss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markolf Hoffmann
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Aquazzan ein Zeichen über das am Boden liegende Buch. Die Seiten bogen sich auseinander. Kleine Flammen trieben über sie hinweg und verwandelten sie in Asche. »Nun brauchen wir dein Buch nicht mehr, Sorturo. Wir rauben unsere Magie nicht aus den Quellen, wie ihr es tatet. Nehmen nur das, was sie uns zu geben bereit sind. Du aber, Sorturo, wirst die Kraft niemals mehr missbrauchen. Es ist eine milde Strafe für das Leid, das du geschaffen hast.«
    Und während Sorturo zu schreien begann, ließ Aquazzan ihn zu der Grube hinüberschleifen, in der siedendheiß das geschmolzene Silber kochte.
    Laghanos hörte Stimmen. Aus der Finsternis drangen sie zu ihm, kaum zu verstehen; oft waren es fremde Worte einer fremden Sprache, die er nie zuvor gehört hatte; dann wieder schienen ihm die zischenden Laute vertraut zu sein. Es war ein Traum, doch er vermochte nicht aus ihm zu erwachen, konnte nicht die Augen öffnen, sich nicht bewegen. Er war in seinem eigenen Körper gefangen: er selbst sein eigener Kerker, und um ihn die Stimmen, die mal mit ihm sprachen, mal ungeachtet seiner Gegenwart verhallten. War dies die Strafe? War dies der Augenblick, vor dem er sich gefürchtet hatte, sein Leben lang; seit der Stunde, in der er zum ersten Mal nach IHR gegriffen hatte in jäher Erkenntnis, dass SIE nicht ihm gehörte, dass es VERBOTEN war, SIE zu benutzen?
    Er erinnerte sich an das verlorene Dreckloch an der Küste Kathygas, wo er aus dem ausgemergelten Körper seiner Mutter in den Schmutz gefallen war; an den Gestank der eitrigen Wunden, die ihren Körper bedeckt hatten; und wie hatte er diesen Geruch geliebt, der an ihm geklebt hatte wie eine zweite Haut. In Gedanken sah er ihre verstörten Blicke, wenn sie ihn am Morgen allein zurückließ, an ihr bleiches Gesicht, wenn sie bei der Rückkehr den löchrigen Filz zur Seite schob, der ihren Lebensraum von der Außenwelt abtrennte; er hörte das Husten und die Schreie, die aus den Nachbarparzellen erklangen, Tag und Nacht; sah, wie seine Mutter sich stumm in die Ecke kauerte, sich die Ohren zuhielt und ihre Knie zusammenpresste. Er fühlte ihren Schmerz und ihre Todessehnsucht und war doch unfähig, ihr zu helfen, sie zu trösten; denn selbst die Berührung seiner kleinen Hände war ihr unerträglich; dann schrie sie ihn an, schleuderte ihn zu Boden, und Tränen schössen ihr in die Augen.
    Doch dann, eines Tages, hatte Laghanos entdeckt, dass er sie allein durch seine Gedanken berühren konnte - ALLEIN DURCH SEINEN WILLEN. Er konnte sie streicheln, ihr Gesicht, ihr wunderschönes Haar; konnte ihr leise ins Ohr flüstern, wie sehr er sie liebte. Er konnte sogar ihren Schmerz lindern und den Ekel, den sie vor ihrem Körper empfand. Er konnte ihr Trost spenden, ohne dass sie es merkte - ALLEIN DURCH SEINEN WILLEN. So hatte er zum ersten Mal ein Lächeln auf ihren Lippen gesehen. Welch ein Hochgefühl - ein Rausch, den er steigern musste. Als die schleichende Krankheit sich immer weiter in ihrem Körper ausbreitete, ihr Leib blau und fahl wurde, nahm er ihr das Gespür für die Schmerzen und auch ihre Todesangst - es gelang ALLEIN DURCH SEINEN WILLEN. Dann versuchte er, ihre Wunden zu schließen, indem er mit den Fingern über sie strich - und es gelang!
    Doch mit der Erkenntnis, ALLEIN DURCH SEINEN WILLEN diese wundersamen Dinge bewirken zu können, war auch die Angst gekommen. Denn diese Kraft, über die er verfügte - er nahm sie sich einfach, griff sie aus der Luft, obgleich er spürte, dass SIE ihm nicht gehörte. ›Dann kamen sie und holten dich‹, zischte es neben seinem Ohr.
    Ja, er erinnerte sich an jenen schrecklichen Abend. Er hatte ruhig in den Armen seiner Mutter gelegen und dem Schlaf entgegengedämmert. Plötzlich erhallte Lärm, Rufe, hastige Schritte; Hände rissen den Vorhang zurück, der Stoff zerriss, und zwei Frauen in grünen Gewändern drängten sich in den Raum; harte, strenge Gesichter, weiß geschminkt; sie eilten auf ihn zu, packten seinen Arm. Laghanos hatte sofort gewusst, weshalb sie gekommen waren, SIE KOMMEN, UM DICH ZU BESTRAFEN, sie rissen ihn empor, seine Mutter krallte sich in seinem Haar fest, weinte, brüllte,
Nehmt ihn mir nicht fort!,
doch die Frauen drückten sie mit sanfter Gewalt auf ihr Lager zurück und redeten in einem beschwörenden Tonfall auf sie ein; dass er, Laghanos, mit ihnen kommen müsse, dass sein Leben sonst in Gefahr sei und auch das ihre; und dass es ihm gut gehen werde in den Händen der Malkuda; die Malkuda werde sich um

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