Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nebelriss

Nebelriss

Titel: Nebelriss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markolf Hoffmann
Vom Netzwerk:
blind verehrt hast, für den du gemordet und geraubt hast, bis er dich ans Messer lieferte.« Ashnada richtete sich auf. Das Blut schoss ihr in die schmerzende Hand, und mühsam presste sie ihre Worte hervor. »Tarnac ist vermutlich längst tot! Die Goldei haben Gyr erobert. Er musste vor ihnen fliehen. Ich werde nicht die Gelegenheit haben, ihn …«
    »Tarnac lebt«, unterbrach Rumos sie. »Und die Goldei werden nicht lange über Gyr herrschen. Eine neue Zeit beginnt, Ashnada! Noch ahnt es niemand, auch dieser Schwachkopf Bars Balicor nicht. Doch wir sind zurückgekehrt - und dieses Mal wird man uns nicht vertreiben! Wir werden die neue Zeit gestalten, so wie es Tathrils Wunsch entspricht!«
    Ashnada blickte verständnislos zu dem alten Mann auf. Dann, ganz leise, fragte sie: »Was bedeuten die Verse, die Ihr mir gesandt habt? Warum gabt Ihr sie mir und nicht Balicor?«
    Rumos beugte sich zu ihr herab, und sie erschrak vor der Grausamkeit in seinen Augen. »Ich wollte dich kennen lernen, bevor ich an Balicors Seite trete, und du hast meine Erwartungen mehr als erfüllt.« Er richtete sich auf. »Sage ihm, dass ich ihn sprechen will und dass er sich nicht zu fürchten braucht. Ich will keine Rache nehmen. Ich will mich mit ihm verbünden.«

KAPITEL 8 - Nebel
    ›Sie hörten den Ruf des Horns schon aus weiter Ferne;
leise hallte er ihnen aus dem Tal entgegen, in das sie
hinab ritten. Wegen des Nebels konnten sie den Boten noch
nicht sehen, doch dem näher kommenden Klang nach zu
urteilen musste er in wenigen Minuten bei ihnen sein.‹

    Der Hornruf der Schluchtritter«, sagte Baniter erleichtert. »Wir haben endlich die Grenze erreicht!« Vorsichtig rückte er sich das schwarze Tuch zurecht, mit dem er Kopf und Hals gegen die Kälte schützte. Es war der kälteste Tag seit ihrem Aufbruch. Die Täler des Hochlandes waren grau bereift. Feiner Nebel lag in der Luft, und aus den Nüstern der Pferde trat weißer Atem. Der neunte Kalender des Jahres hatte begonnen, der Herbst neigte sich dem Ende entgegen. Baniter war die Temperaturen des palidonischen Hochlandes nicht gewohnt. Zwar waren auch in seiner Heimat die Winter sehr kalt; Suuls Hauch, jener eisige Strom, der vom Ostmeer auf den Kontinent traf, streifte Ganatas Nordküste. Doch erst in Thax und Palidon zeigte Suuls Hauch seine ganze Kraft, und so waren die Winter im Hochland besonders lang und streng.
    Missmutig blickte sich Baniter nach den Kutschen um, die zwanzig Schritt hinter ihm durch den Nebel rollten. Es handelte sich um zwei varonische Dreispänner, ausladende Ungetüme aus schwarzem Holz. In der ersten befanden sich die Geschenke für die arphatische Königin; goldene Teller und Becher, Edelsteine und Schmuckketten, feinste Schmiedearbeiten, seltene Gewürze von den Inseln Morthyl und Vodtiva. Sogar einen Kapuzenvogel hatte man für Königin Inthara eingefangen; mit seinem schillernden Gefieder und seinem glasklaren Gesang sollte er sie besänftigen. Baniter bezweifelte allerdings, dass der Vogel die harschen Temperaturen des Hochlandes überleben würde.
    In der zweiten Kutsche reiste ein bedeutendes Mitglied der Gesandtschaft: die Dichterin Lyndolin Sintiguren. Sie war zu alt, um auf dem Rücken eines Pferdes zu reiten. Selbst die Fahrt in der Kutsche strengte sie an; Baniter hatte mehrmals eine zusätzliche Rast befehlen müssen, wenn die Dichterin an das Ende ihrer Kräfte gelangt war. Die Kutschen hatten das Fortkommen der Gesandtschaft stark beeinträchtigt. Zwei Wochen hatten sie gebraucht, um Palidon zu durchqueren; kostbare Zeit, die sich kaum wieder aufholen ließ.
    »Es wird Zeit, dass wir diesen trostlosen Landstrich hinter uns lassen«, rief Baniter dem Mann zu, der an seiner Seite ritt. »Ich habe diese Wüste aus Gras und Geröll leidlich satt!«
    »Ihr tut Palidon Unrecht«, belehrte ihn sein Begleiter. »Es ist von einer herben, doch atemberaubenden Schönheit. Wenn Ihr die tristen Straßen verlasst, werdet Ihr Orte finden, die man so schnell nicht vergessen kann - die Täler bei Ronamot, die phantastischen Steildörfer im Splittergebirge oder die sechshundert Seen westlich von Jocasta, die bei Sonnenuntergang wie Rubine funkeln … Doch am eindrucksvollsten ist die Hauptstadt Palidons, das vielgesichtige Nandar, das sich über den Schwarzen Klippen aus dem Meer erhebt. Hat Euch Fürst Binhipar niemals dorthin eingeladen?«
    »Er muss es wohl vergessen haben«, antwortete Baniter mit ätzender Stimme. »Es ist das erste Mal, dass ich so

Weitere Kostenlose Bücher