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Nebelriss

Nebelriss

Titel: Nebelriss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markolf Hoffmann
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weit in den Norden vordringe. Die Wege eines Fürsten führen nur selten über die Grenzen seines Territoriums.« »Dann bedaure ich Euch aufrichtig. Ein Privileg meines Amtes ist die Möglichkeit, jedem Winkel des Kaiserreiches einen Besuch abstatten zu können. Seitdem ich Siegelmeister des Kaisers geworden bin, habe ich sämtliche Fürstentümer Sithars bereist, von Aroc bis Vodtiva, von Thoka bis Palidon. So konnte ich die unterschiedlichen Menschen und Kulturen kennen lernen, die unter der Herrschaft des Silbernen Kreises vereint sind.« Mestor Ulba war mit seinen über fünfzig Jahren noch immer eine stattliche Erscheinung; groß gewachsen und schlank, eine aufrechte Körperhaltung, das kaum ergraute Haar und der Vollbart kurz geschert. Wer Mestor Ulba zum ersten Mal erblickte, konnte kaum glauben, dass dieser Mann bereits ein halbes Jahrhundert hinter sich gebracht hatte. Erst wenn man in seine Augen blickte, sah man das Alter: schmale, glanzlose Augen, die voller Müdigkeit und Schwermut waren.
    Seit nunmehr fünfzehn Jahren hatte Mestor Ulba das Amt des kaiserlichen Siegelmeisters inne. Er wachte über den Gebrauch und die Erteilung von Wappen und Bannern, über die Besiegelung von Urkunden und Gerichtsurteilen, über die Ausstellung kaiserlicher Pfandbriefe und Gesetzesbullen, über das Erstellen und Entschlüsseln geheimer Botschaften. Nur ihm war es gestattet, Siegelringe oder Stempelbarren mit den Symbolen des Südbundes und des Silbernen Kreises herzustellen. Es war ein bedeutendes Hofamt, das großen Einfluss auf das Gerichts- und Steuerwesen ermöglichte. Mestor Ulba hatte es stets mit großem Pflichtgefühl und Verantwortungsbewusstsein ausgeführt.
    »Wenn wir gerade vom Reisen sprechen - zum wievielten Male führen Eure Wege Euch nach Arphat?«, fragte Baniter.
    »Es ist meine vierte Reise«, erwiderte Mestor Ulba. »Die letzte liegt einige Jahre zurück. Es war in dem Jahr, als die Königin die Volljährigkeit erreichte. Das ganze Land gab sich damals einem rauschenden Fest hin.« Ein Lächeln huschte über sein Gesicht, zweifellos ein Widerhall angenehmer Erinnerungen.
    »Meine Mutter sagte mir stets, dass bei den Festen der Arphater Wein und Blut in Strömen fließen«, sagte Bani- ter. »Ich hoffe, wir werden die Gelegenheit bekommen, an einem solchen Fest teilzunehmen.« Der Siegelmeister schüttelte den Kopf. »Rechnet nicht mit einem allzu freundlichen Empfang. Ob Fürst oder nicht: Gesandte aus Sithar müssen mit allerlei Anfeindungen rechnen. Man wird Euch mit Hochmut und Geringschätzung begegnen, und es liegt allein an Eurem Verhalten, wie lange dieser Zustand anhält.« »Ihr werdet mir hoffentlich helfen, ihn zu verkürzen, Siegelmeister«, sagte Baniter lächelnd. Mestor Ulba zuckte mit den Schultern. »Überschätzt nicht meine Fähigkeiten, Fürst Baniter. Ich war viele Male in Arphat, doch niemals hatte ich die Ehre, vor die Tochter des Sonnengottes zu treten. Ich kenne nicht jede Einzelheit des komplizierten Hofzeremoniells; und wie Ihr wisst, könnte der kleinste Fehltritt, die kleinste Unachtsamkeit als Missachtung der königlichen Autorität gewertet werden und unseren Tod zur Folge haben.«
Eine Gefahr, die Euch besser bekannt sein dürfte als mir,
fuhr es Baniter durch den Kopf. Er fragte sich, was Arkon und Perjan dem Siegelmeister versprochen haben mochten, dass er freiwillig in Arphat sein Leben riskierte - er, der am Hof in Thax alles erreicht hatte, was einem Mann seines Standes möglich war. »Ich reise nicht nach Arphat, um mich unter die Erde bringen zu lassen«, versprach Baniter. »Die Königin mag eine schwierige Vertragspartnerin sein, aber ich denke, dass die augenblickliche Lage ihren Hass auf das Kaiserreich zügeln wird. Wenn Arphat nicht das Schicksal von Gyr und Candacar erleiden will, wird es sich mit Sithar verbünden müssen.«
    Mestor Ulba schüttelte den Kopf. »Ihr vergesst den Stolz der Arphater. In ihren Augen ist Sithar nichts weiter als ein - verzeiht meine Worte - abtrünniger Landesteil. Die Fürsten und der Kaiser gelten als Verräter, die sich ihre Titel selbst gegeben haben. Als die Führer des Südbundes vor dreihundertfünfzig Jahren in der Siegesstunde zu Vara das Kaiserreich Sithar ausriefen, schwor der damalige arphatische König, Tharonn der Hetzer, dass weder er noch seine Nachfolger dieses Reich jemals anerkennen würden.«
    »Der Südbund hat zwölf Jahre lang gegen die tyrannischen Königreiche des Nordens gekämpft und die Heere von

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