Nebelriss
Gyr, Candacar und Arphat vernichtend geschlagen«, warf Baniter ein. »Damit erkämpften sich die Führer des Bundes das Recht, ein eigenes Reich zu gründen und sich Fürsten- und Königstitel zu verleihen. Das Kaiserreich Sithar besteht nun seit dreihundertfünfzig Jahren, und kein anderes Land kann sich mit seiner Macht messen. Wie können die Arphater so starrsinnig sein, uns noch immer das Recht auf unsere Titel abzuerkennen?«
»Nach arphatischer Auffassung kann der Titel eines Herrschers weder im Krieg noch im Lauf der Jahrhunderte erlangt werden«, erklärte Mestor Ulba. »Nur der Gott der Sonne und des Regens, Agihor, der Gott mit den brennenden Lippen, kann einen König ernennen. Er gab Apetha, dem ersten König Arphats, eine Schale mit seinem Blut zu trinken, und dadurch wurde dieser zum Sohn aller Götter. Seit über tausend Jahren herrscht die Blutlinie Apethas auf dem Sonnenthron, und sie lebt in der jetzigen Königin fort. Die Arphater erkennen als gleichrangige Herrscher nur die Könige von Gyr und Candacar an, die ebenfalls Nachfahren der alten Götter sind.«
»Die alten Götter haben Gyr und Candacar nicht vor dem Untergang bewahrt«, erwiderte Baniter scharf. »Wenn Inthara Schutz vor den Goldei sucht, wird sie sich wohl oder übel mit den minderwertigen Blutlinien der sitharischen Fürsten abgeben müssen.«
»Ich weise Euch nur darauf hin, was Euch in Praa erwartet«, betonte der Siegelmeister. »Man wird Euch als Gesandten empfangen, doch man wird Euch ohne Titel und Würden ansprechen, Euch vielleicht gar beschimpfen oder demütigen. Eine solche Behandlung seid Ihr gewiss nicht gewohnt.«
Da täuscht Ihr Euch! Nach zwölf Jahren im Silbernen Kreis bin ich bestens für eine Reise nach Arphat gerüstet.
»Ich weiß Eure Warnungen zu schätzen, Ulba«, sagte Baniter laut. »Unfreundliche Worte werden mich gewiss nicht von meinem Vorhaben abbringen.«
Der Tross der voran reitenden Ritter kam zum Stehen. Leise Rufe wurden laut. Offenbar war der Bote, dessen Hornruf sie vernommen hatten, endlich eingetroffen.
Zwanzig Ritter begleiteten die Gesandtschaft. Baniter hatte ursprünglich nur zehn bewaffnete Reiter zu seinem Schutz gefordert, doch das ›Gespann‹ hatte ihm - zweifellos in großer Sorge um sein Wohlergehen - die doppelte Anzahl zugeteilt. Nur vier davon entstammten Baniters eigenem Gefolge. Zehn Krieger gehörten der kaiserlichen Garde und der thaxanischen Ritterschaft an. Die restlichen Männer entstammten jedoch der Ritterschaft der Weißen und der Schwarzen Klippen - ein Umstand, der Baniter nicht sonderlich behagte. Dass ausgerechnet Binhipars Kettenhunde ihn beschützen sollten, war nicht das einzige Zugeständnis an das ›Gespann‹ gewesen. Nach der verlorenen Abstimmung hatte Scorutar gefordert, die Gesandtschaft durch ein weiteres Mitglied des Hochadels zu ergänzen; vordergründig, um nach der öffentlichen Bloßstellung sein Gesicht vor dem Rat zu wahren, tatsächlich aber, um über Baniters Unternehmungen in Arphat in Kenntnis gesetzt zu werden. Denn natürlich war dieses zusätzliche Mitglied der Gesandtschaft ein Verwandter Scorutars; genauer gesagt Scorutars Neffe dritten Grades, der jüngste Spross eines entfernten Vetters. Sein Name war Sadouter Suant. Er war ein kaum neunzehnjähriger Bengel, der für Scorutar die Garden einiger Küstenstädte auf dem Swaaing-Archipel befehligte. Sadouter ähnelte seinem berühmten Verwandten in vielerlei Hinsicht. Mit seinen dunklen, dichten Haaren und dem fein gezeichneten Gesicht war er sofort als Angehöriger seiner Familie zu erkennen, und auch die Arroganz der Suant schien ihm in die Wiege gelegt worden zu sein. Seinem Onkel Scorutar eiferte er nach bestem Gewissen in Rhetorik und Gestik nach, wenn ihm auch freilich dessen Erfahrung und Verschlagenheit fehlten. Doch Baniter hütete sich davor, Sadouter Suant zu unterschätzen. Er befürchtete, dass dieser junge Mann ihm noch einige Probleme bereiten würde. Ein Reiter kam durch den Nebel auf Baniter zugeritten. Er trug die schwarz-blaue Gewandung der Ritter der Schlucht. Ein Hörn baumelte an seiner Seite. Ehrfürchtig senkte er den Kopf. »Mein Fürst, die Wächter der Schlucht erbieten Euch Ihren Gruß und heißen Euch an der Nordgrenze des Kaiserreiches willkommen.« Baniter nickte gnädig. »Ich danke dir. Hast du Nachricht aus Arphat erhalten?«
Der Bote nickte. »Die Kunde von Eurer Anreise ist der Königin überbracht worden, und sie bietet Euch freies Geleit bis
Weitere Kostenlose Bücher