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Nebelriss

Nebelriss

Titel: Nebelriss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markolf Hoffmann
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mit ihrem Rat stets zur Seite gestanden. Ohne ihren Beistand hätte Baniter die Demütigungen und Intrigen des ›Gespanns‹ kaum ertragen. Nun, da er am Rand der Schlucht von Pryatt Parr stand, dachte er voller Sorge an sie. Jundala würde bald am Hof in Thax eintreffen; sie sollte ihn während seiner Abwesenheit im Silbernen Kreis vertreten. Er hoffte, dass ihr kluger Kopf sie vor dem Ränkespiel der Fürsten bewahren würde.
    »Zorn ist ein schlechter Lehrmeister«, hörte er Lyndolin Sintiguren sagen, »und Rache ein falscher Freund, Fürst Baniter. Lasst Euch in Arphat nicht von ihnen leiten, wenn Ihr den Nebelriss ein zweites Mal überschreiten wollt.«
    »Zunächst will ich ihn heute überschreiten«, sagte Baniter leise, »und das wird schwierig genug sein.« Seine Hand hielt die Schlinge fest umschlossen. Baniter spürte das raue, rissige Leder, und immer, wenn das Maultier zögernd verharrte, schnitt es sich schmerzhaft in seine Finger.
    Die Ritter der Schlucht hatten ihm das kräftigste Tier aus ihren Stallungen gegeben, eine groß gewachsene Stute mit dichtem Fell, kurzer Rückenmähne und breiten Hufen. Klaglos hatte sie sich das schwere Bündel aufbürden lassen, und ebenso klaglos war sie Baniter auf die Brücke gefolgt. Erst jetzt, auf der Mitte der Brücke, wurde das Tier unsicher. Irritiert ließ es die Augen umherrollen und starrte in die Schlucht herab, die sich unter ihm auftat. Die Bogenbrücke von Pryatt Parr war ein Meisterwerk palidonischer Baukunst. Sie war vor über vierhundert Jahren von dem berühmten Baumeister Nahuan errichtet worden, im Auftrag eines arphatischen Königs, der es leid gewesen war, auf seinen Feldzügen in den Süden die Schlucht umreiten zu müssen. Fast dreihundert Schritt überspannte die Brücke; ihr gewaltiger Bogen, bestehend aus geharzten Eichenbalken und Tonziegeln, langte wie ein riesiger Arm zur anderen Seite der Schlucht hinüber. Gestützt wurde er von mächtigen Pfeilern, die zwischen den Felsabsätzen der Schluchtwände emporragten, jeder in einem anderen Winkel. Im Grau des Nebels wirkte das Gebälk wie ein grobes Spinnennetz, das sich über die Schlucht spannte. Die wirre Anordnung der Stützbalken verlieh der Brücke ein bedrohliches Aussehen. Wer sie überqueren musste, wurde von einem seltsamen Unbehagen erfasst; dem schien der Boden unter den Füßen zu schwinden, der fühlte sich wanken und fallen, der fürchtete, mit jedem Schritt den Zusammensturz des wahnwitzigen Bauwerks auszulösen. Doch obwohl es den Gesetzen der Vernunft widersprach, die Brücke stand unverrückbar seit Jahrhunderten und zeugte eindrucksvoll von der längst vergessenen Kunst der palidonischen Baumeister.
    Vorsichtig setzte Baniter seine nächsten Schritte. Das Maultier folgte ihm widerwillig. Die Hufe klangen dumpf auf dem Boden der Brücke, wo sich quer liegende Balken und Reihen aus Tonziegeln abwechselten. An der Seite des Tiers schritten Mestor Ulba und Sadouter Suant. Auch sie wirkten verunsichert, und beide hatten den Blick starr geradeaus gerichtet. Zwei Ritter folgten ihnen; auf ihrer Brust prangte der ganatische Luchs. Es waren Merduk und Gahelin, zwei Angehörige der ganatischen Fürstengarde. Sie dienten Baniter seit vielen Jahren und waren ihm treu ergeben.
    Die übrigen Ritter warteten gemeinsam mit Lyndolin Sintiguren am Kopf der Brücke. Immer wieder vergewisserte Baniter sich, ob er ihre Umrisse noch durch den Nebel erkennen konnte. Schließlich blieb er stehen, den Kopf rückwärts gewandt. In Gedanken maß er die zurückgelegte Strecke. Zwar war das gegenüberliegende Ende noch nicht zu erkennen, doch er vermutete, dass sie sich nun auf der Mitte der Bogenbrücke befanden.
    Sein Blick fiel auf Sadouter, der ihn missmutig anstarrte. Dem jungen Adeligen klebte das dunkle Haar im Gesicht, und seine Hände glitten unruhig über das Geländer der Brücke. »Ihr glaubt doch nicht allen Ernstes, dass dieser Mummenschanz gelingen wird, Fürst Baniter«, rang er schließlich hervor. »Die Arphater werden niemals auf diesen Unsinn hereinfallen.«
    Baniter lächelte. »Wartet es ab. Die Überraschung ist auf unserer Seite, und die Ungemütlichkeit dieses Ortes wird dazu beitragen, die Verhandlungen kurz zu halten.«
    »Ja - denn die Arphater werden uns sofort nach Sithar zurückschicken«, schnaubte Sadouter, »oder uns an Ort und Stelle in die Schlucht werfen. Euer Plan ist lächerlich und eines Gesandten des Kaisers nicht würdig! Wir müssen den Arphatern mit

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