Nebelsphäre - haltlos (German Edition)
Custos Portae gegenüber.
Die beiden Männer ähnelten sich äußerlich zwar kein Stück, aber irgendwie riefen beide dasselbe Gefühl der Beklemmung in Kerstin hervor.
Der Doktor schien Kerstins Unbehagen zu spüren und blieb auf Abstand. Er sah sie interessiert an, hob grüßend seine Hand und meinte dann freundlich mit starkem englischen Akzent: „Sie müssen die Tochter von der tapferen Frau Behrmann sein. Sie wurden schon sehnlichst von ihrer Mutter erwartet. Herzlich willkommen in Plymouth! Ich bin Dr. Custos Nebulae.“
Kerstin zwang sich zu einem Lächeln und antwortete etwas verwirrt: „Danke…“
Der Arzt sah sie beruhigend an und fuhr fort: „Ich würde ihre Mutter jetzt gern kurz untersuchen… oder soll ich lieber später wieder kommen?“
Kerstin hatte sich so langsam von ihrem Schrecken erholt und schüttelte den Kopf. „Nein, nein – kümmern Sie sich ruhig um meine Mutter. Ich warte dann draußen…“
Aber da protestierte ihre Mutter sofort: „Ach Kerstin, das ist doch nicht nötig! Bleib bitte hier. Du sprichst wenigstens Englisch. Falls ich mal wieder etwas nicht verstehe, kannst du übersetzen.“
Kerstin hatte ernsthafte Zweifel, dass das bei den offensichtlich sehr guten Deutschkenntnissen des Chefarztes nötig sein würde, blieb aber ihrer Mutter zu liebe im Raum. Sie setzte sich auf einen Stuhl in die Ecke und beobachtete die beiden.
Dr. Custos Nebulae war sehr behutsam bei der Untersuchung und erklärte ihrer Mutter genau, was er gerade tat oder auch feststellte. Er berührte sie so wenig wie möglich und versuchte während seiner Erklärungen einen respektvollen Abstand zu seiner Patientin zu wahren.
Kerstin schüttelte nochmals leicht den Kopf und dachte verwundert: „Es ist so, als würde Professor Custos Portae hier stehen und meine Mutter untersuchen. Nur dass er überhaupt gar nicht so aussieht! Wirklich merkwürdig… Er ist sehr freundlich und anscheinend auch vorsichtig, aber mir ist er einfach nur unheimlich… Wieso wird so jemand bloß Arzt? Oder wirkt er nur auf mich so? Vielleicht geht es anderen Menschen ja eher wie Victoria…“ Sie malte sich aus, wie Professor Custos Portae und ihre Freundin sich umarmten und küssten. „Nein“ , stellte sie dann ganz klar für sich fest, „ich kann Victoria wirklich nicht verstehen. Aber sie scheint den Professor ja echt aus tiefstem Herzen zu lieben. Sonst würde sie nicht schon zwei Monate mit ihm zusammen sein… und dann auch noch mit ihm schlafen…“
Plötzlich sah Dr. Custos Nebulae sie ganz unverwandt an und Kerstin wurde das Gefühl nicht los, dass er ihr direkt in die Gedanken guckte.
Dann lächelte der Doktor und sagte mit seiner ruhigen dunklen Stimme: „Es ist alles in Ordnung mit Ihrer Mutter!“
Er wandte sich wieder Frau Behrmann zu und fuhr beruhigend fort: „Die Medikamente sind gut angeschlagen. Wenn wir Glück haben, dürfen Sie in einer Woche wieder nach Hause – so lange möchte ich Sie aber lieber noch hierbehalten, um weitere Komplikationen auszuschließen.“
Dann lächelte der Arzt strahlend. „Lassen sie sich ruhig von ihrer bezaubernden Tochter ein wenig verwöhnen, schließlich haben Sie in den letzten Tagen einiges mitmachen müssen.“
Dann nickte er Mutter und Tochter noch mal freundlich zu und verließ mit schwerfälligen Bewegungen den Raum.
Kaum war die Tür zum Krankenzimmer geschlossen, winkte ihre Mutter Kerstin wieder ans Bett und sagte leise: „Er ist unheimlich, nicht wahr?“
Kerstin nickte stumm.
„Aber er soll wirklich eine Koryphäe der Medizin sein“, fuhr Antje fort, „und Andre hat vehement darauf bestanden, dass mich nur die besten Ärzte behandeln – gerade nachdem klar war, dass es Komplikationen gibt.“
Kerstin lächelte. „Ach Mum, mit unserem Geometrieprof geht es mir so ähnlich. Und er ist ebenfalls sehr gut in seinem Fach. Da nimmt man ein kleines bisschen Unbehagen doch gern hin, oder nicht?“
24. Verdammt knapp!
Victoria hatte sich in den letzten Tagen viele Sorgen um ihre Freundin gemacht. So rief sie am Donnerstagabend gleich bei Kerstin an und war heilfroh, als sie hörte, dass es ihrer Mutter wieder besser ging.
Kerstin war ganz erfüllt von diesem Gedanken und deutlich entspannter als in den vergangenen Tagen. Sie kündigte an, dass sie – wenn sich alles weiter so gut entwickelte – schon am Samstag wieder zurückfliegen würde. „Kannst du dann in der nächsten Woche mit mir für die Klausuren lernen, Vici?
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