Nebelsphäre - haltlos (German Edition)
hatte sie jedenfalls das Gefühl, dass sie die Wahrheit nicht erzählen durfte, mal ganz abgesehen davon, dass sogar J sie für verrückt erklären würde, wenn er erfuhr, dass sie Stimmen in ihrem Kopf hörte und merkwürdige Bilder empfing.
Sie begann zu erzählen. J hörte wie immer aufmerksam zu und stellte Fragen an den richtigen Stellen.
Als sie ihren Bericht beendete, waren die Gläser leer und J lächelte sie an. „Das hört sich doch gut an, Vici! Eines ist schon mal sicher: Er findet dich sympathisch – ansonsten hätte er dich nicht in seinem Wahnsinnsauto mitgenommen.“
Dann grinste er. „Sag mal, war der Wagen von innen auch so gut in Schuss?“
Victoria lachte. „Wenn du es genau wissen willst, komm einfach mit!“
Sie stand auf und holte ihren Fotoapparat aus der Jackentasche. J folgte ihr und zog eine Augenbraue fragend hoch. Sie startete ihren Laptop, zog die SDHC-Karte aus der Kamera und steckte sie in den Slot am Rechner. Dann verschob sie die Bilder auf die Festplatte, klickte das erste Bild mit dem grünen Aston Martin doppelt an und ließ J vor ihrem Rechner Platz nehmen.
„Ich habe die Aufnahmen gemacht, bevor ich in den Buchladen gegangen bin. Das Licht war einfach genial und das Auto wollte einfach fotografiert werden.“
J’s Augen waren weit aufgerissen, als er andächtig durch die Bilder klickte.
Sie hatte eine Serie von ungefähr dreißig Bildern gemacht und freute sich nun, dass sie das Funkeln des smaragdgrünen Lacks wirklich hatte einfangen können. Er schien auch auf ihren Bildern von innen zu leuchten. Auf dem Kopfsteinpflaster und mit den schwarzen Wolkentürmen im Hintergrund wirkte das Auto fast schon lebendig. Auch einige der Nahaufnahmen, die sie von Details der Karosserie gemacht hatte, waren gut geworden. Die Bilder vom Innenraum waren nicht ganz so klar, weil sie durch die geschlossenen Scheiben geknipst hatte, aber die Spiegelungen machten es für ihren Geschmack gerade interessant.
J flüsterte nur noch: „Wahnsinn! Was für ein Flitzer! Und diese Verarbeitung… Ein echtes Kunstwerk…“
Nun musste Victoria lachen. „Na J, welche Bilder möchtest du als Poster haben?“
Als Victoria wieder allein in ihrem Zimmer war, fing ihr Gehirn an zu arbeiten. Sie verstand noch immer nicht, was heute Nachmittag im Buchladen passiert war, aber trotzdem musste sie sich darüber klar werden, welche Konsequenzen sie daraus ziehen wollte.
Der Professor war kein normaler Mensch – so viel war mal sicher. Konnte sie ihm trauen? Immerhin hatte er versucht, ihr eine Lüge als Wahrheit zu verkaufen. Auch wenn er sich entschuldigt hatte, als dies nicht klappte, war sie immer noch misstrauisch, was das betraf, schließlich wurde sie nicht gern manipuliert.
Wenn sie dann aber in ihr Herz schaute, wusste sie, dass sie in Custos Portae auch nach diesem Vorfall noch immer verliebt war – vielleicht sogar mehr als zuvor.
Die Verbindung zu ihm schien seit der Bilderübertragung noch stärker geworden zu sein. Davor konnte sie seine Anwesenheit nur spüren, wenn sie wusste, dass er in der Nähe war. Als er aber nach ihrer Ohnmacht den Laden wieder betreten hatte, war sie sich sofort sicher, dass es Jaromir Custos Portae war und nicht irgendein anderer Kunde. Ebenso hatte sie ganz genau gewusst, dass ihm der Sportwagen gehörte, noch bevor er auf das Auto zugegangen war. Und auch, wenn er versucht hatte, sie anzulügen, hatte sie das Gefühl, dass er es ehrlich mit ihr meinte.
Seine Nähe hatte sie im Buchladen trotz all der verwirrenden Geschehnisse als angenehm empfunden. Und obwohl sie nicht einmal ansatzweise verstand, was passiert war, fühlte sie sich in seiner Gegenwart sicher. Beim Abschied hatte er sie wieder mit seinen warmen, braunen Augen angesehen und ihre Adern mit flüssigem Glück gefüllt.
„Ich bin eindeutig ganz fürchterlich in ihn verliebt – egal, wer oder was er ist! Und es ist mir fast schon gleichgültig, was mit mir passiert, solange ich nur mit ihm zusammen sein darf.“
Die Schmetterlinge in Victorias Bauch flatterten siegessicher eine Ehrenrunde.
Aber was sollte sie nun tun? Sie wollte nicht weiter auf Zufälle in Fahrstühlen oder Buchläden hoffen, sie wollte Jaromir Custos Portae endlich kennenlernen!
„Und wenn ich ihn einfach frage?“ Immerhin hatte er ihr im Buchladen gesagt, dass er es schön fand, dass sie seine Nähe mochte. „War das nicht schon der erste Schritt?“
Es war jetzt schon fast zwölf Uhr und so beschloss sie, erst
Weitere Kostenlose Bücher