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Nebelsturm

Nebelsturm

Titel: Nebelsturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johan Theorin
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aber gleich darauf wieder zur Fensterscheibe und fuhr fort, hinaus in den Schneesturm zu starren.
    Auf der Arbeitsplatte stand ein Block mit Messern. Henrik griff nach dem größten und zog es heraus.
    Mit dem Fleischermesser in der Hand verließ er die Küche. Er konnte sich nicht mehr erinnern, wo im Haus er sich befand, und plötzlich stand er in einem langen Flur auf der Türschwelle eines kleinen Zimmers.
    Ein Kinderzimmer.
    Auf dem Bett saß ein kleines, blondes Mädchen. Sie war vielleicht fünf oder sechs Jahre alt. Im Arm hielt sie ein weißes Stofftier und einen roten Wollpullover. Auf dem Boden vor ihr stand ein kleiner Fernseher.
    Henrik öffnete den Mund, bekam aber kein Wort heraus. Sein Kopf war leer.
    »Hallo«, stotterte er.
    Seine Stimme klang heiser und rau.
    Das Mädchen sah ihn an, ohne zu antworten.
    »Sind hier noch andere?«, fragte er. »Andere … Onkel?«
    Das Mädchen schüttelte den Kopf.
    »Ich habe sie nur gehört«, sagte sie leise. »Sie sind hier rumgestampft und haben mich aufgeweckt … aber ich habe mich nicht getraut, aus dem Zimmer zu gehen.«
    »Ja, du bleibst auch am besten einfach hier drin«, sagte Henrik. »Wo sind denn deine Eltern?«
    »Papa ist raus zu Mama gegangen.«
    »Und wo ist deine Mama?«
    »In der Scheune.«
    Bevor Henrik über die Antwort richtig nachdenken konnte, hob das Mädchen ihre Hand und zeigte auf ihn.
    »Warum hast du ein Messer?«
    Er sah hinunter auf seine Hand.
    »Weiß ich nicht.«
    Merkwürdig fühlte es sich an, sich selbst ein Messer halten zu sehen. Das sah gefährlich aus.
    »Willst du Brot schneiden?«
    »Nein.«
    Henrik schloss die Augen. Seine Füße erwachten wieder zum Leben, und das tat weh.
    »Was hast du vor?«, fragte das Mädchen.
    »Weiß nicht … aber du bleibst lieber hier.«
    »Kann ich zu Gabriel ins Zimmer gehen?«
    »Wer ist das?«
    »Mein kleiner Bruder.«
    Henrik nickte müde.
    »Natürlich.«
    Das Mädchen sprang mit Schmusetier und Wollpullover im Arm vom Bett und rannte an ihm vorbei.
    Henrik versuchte seine Reserven zu aktivieren. Er hörte, wie die Tür vom Nebenzimmer geschlossen wurde. Dann machte er sich auf die Suche nach den Brüdern Serelius und ging in die entgegengesetzte Richtung den Flur hinunter. War er hier schon einmal gewesen? Wahrscheinlich.
    Er horchte, ob er andere Geräusche als die des Windes ausmachen konnte, und meinte einen Augenblick lang, aus dem ersten Stock rhythmische Schläge zu hören – vermutlich ein unbefestigter Fensterladen.
    In der Diele lag ein flacher Gegenstand auf dem Boden. Henrik erkannte aus der Nähe sofort das Ouija-Brett. Es war in der Mitte durchgebrochen, und das kleine Glas lag wie ein geplatztes Ei daneben.
    Henrik ging zurück auf die verglaste Veranda. Dort war es merklich kühler. Der Schnee klebte an den Fensterscheiben, aber er konnte im Innenhof Bewegungen erahnen. Er bückte sich und hob die Axt seines Großvaters vom Teppich auf.
    Durch den Schneevorhang sah er die vorsichtigen Bewegungen zweier Gestalten. Sie kamen immer näher, eine von ihnen hatte einen Gegenstand in der Hand. Eine Waffe?
    Er war sich nicht sicher, ob es die Serelius-Brüder waren, trotzdem hob er die Axt.
    Als die Verandatür geöffnet wurde, hatte er schon zum Schlag ausgeholt.

34
    T ilda stolperte weiter, der Schneehagel peitschte ihr ins Gesicht. Martin lief direkt neben ihr, aber sie sprachen kein Wort. Das war in dem tosenden Sturm auch gar nicht möglich.
    Sie überquerten ein Feld. Tilda versuchte mehrfach hochzuschauen, um sich zu orientieren, aber jedes Mal schossen ihr die Hagelkörner wie glühende Pfeile in die Augen.
    Ihre Uniformmütze hatte sie verloren, eine Windböe hatte sie ihr vom Kopf gerissen und fortgeweht. Ihre Ohren waren eiskalt und taub.
    Ein kurzes Aufatmen, als sie den Geruch von verbranntem Holz wahrnahmen. Tilda vermutete, dass er von einem Kamin oder einem Kachelofen kam, und folgerte, dass sie sich in der Nähe von einem Hof befanden – Åludden.
    Vor ihnen tauchte eine lang gestreckte Schneewehe auf. Tilda versuchte durch sie hindurchzugehen, scheiterte jedoch. Es war eine Steinmauer.
    Langsam kroch sie über die mit Schnee bedeckten Steine, Martin folgte ihr. Hinter der Mauer war der Untergrund etwas ebener, als gingen sie auf einem befestigten Weg.
    Plötzlich hörte Tilda ein knackendes Geräusch, gefolgt von einem Quietschen und einem dumpfen Aufprall.
    Kurz darauf standen sie vor ein paar weiteren großen, allerdings eckigen Schneewehen. Es

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