Nebelsturm
einfach keine Kraft mehr.
Aber schlafen konnte er trotzdem nicht.
Seine Gedanken wanderten zurück zum Wäschekorb und zu Katrines Kleidungsstücken. Dann erhob er sich und ging ein zweites Mal ins Badezimmer.
Ganz unten im Korb lag das, wonach er gesucht hatte: Katrines Nachthemd, weiß, mit einem roten Herz auf der Brust. Er zog es heraus.
Im Gang blieb er ein letztes Mal stehen und lauschte vor den Kinderzimmern, aber es war alles still.
Joakim ging zurück ins Schlafzimmer und machte das Bett. Er schüttelte das Bettlaken aus und spannte es wieder fest, ordnete die Kissen und schlug die Bettdecke auf. Dann legte er sich hinein, schloss die Augen und atmete Katrines Geruch tief ein.
Er streckte die Hand aus und streichelte den weichen Stoff.
Ein neuer Morgen. Joakim erwachte von dem beharrlichen Piepen des Weckers – was bedeutete, dass er eingeschlafen sein musste.
Katrine ist tot, flüsterte er sich zu.
Er hörte, wie die Kinder sich in ihren Betten bewegten, und schließlich das Tapsen nackter Füße über den Holzfußboden hinüber ins Badezimmer. Ihn umgab der Geruch seiner Frau. Und seine Hände hielten etwas Dünnes und Weiches fest umklammert.
Das Nachthemd.
Beschämt starrte er das Kleidungsstück an. Er erinnerte sich wieder daran, wie er es in der Nacht aus dem Badezimmer geholt hatte, und stopfte es schnell unter die Bettdecke, um es zu verbergen.
Joakim stand auf, duschte, zog erst sich und dann die Kinder an und machte Frühstück. Er beobachtete seine Kinder genau, umzu sehen, ob sie ihrerseits ihn musterten, aber sie saßen beide tief über ihre Teller gebeugt.
Die Dunkelheit und die Kälte schienen Livia fröhlich zu stimmen. Als Gabriel die Küche verließ, um auf die Toilette zu gehen, fragte sie ihren Vater unbekümmert:
»Wann kommt Mama wieder?«
Joakim schloss die Augen. Er stand an der Spüle, hatte ihr den Rücken zugewandt und wärmte sich die Hände an seinem Kaffeebecher.
Die Frage blieb einen Augenblick in der Luft hängen. Er konnte sie kaum ertragen, aber Livia hatte sie ihm seit Katrines Tod jeden Morgen gestellt.
»Ich weiß es nicht genau«, antwortete er gedehnt. »Ich weiß nicht, wann Mama zurückkommt.«
» Wann denn?«, wiederholte Livia mit erhobener Stimme.
Sie erwartete eine Antwort.
Joakim schwieg, doch dann drehte er sich zu ihr um. Den richtigen Zeitpunkt für die Wahrheit würde es niemals geben. Er sah ihr ins Gesicht.
»Genau genommen … glaube ich, dass Mama nie wieder zurückkommt«, sagte er. »Sie ist weg, Livia.«
Livia starrte ihn an.
»Nein«, entgegnete sie mit harter und bestimmter Stimme. »Das ist sie nicht !«
»Livia, Mama wird nicht wieder …«
»Natürlich tut sie das!«, schrie Livia quer über den Tisch. »Sie kommt . Punkt und basta!«
Dann fuhr sie ungerührt fort, ihr Frühstück zu essen. Joakim senkte den Kopf und nahm einen Schluck Kaffee. Er war besiegt.
Jeden Morgen um acht fuhr er die Kinder nach Marnäs, fort von der Stille auf Åludden.
Helles Lachen und fröhliche Schreie schlugen ihnen entgegen, als sie Gabriels Kindergarten betraten. Joakim war vollkommen kraftlos. Müde umarmte er seinen Sohn zum Abschied, undGabriel drehte ihm sofort den Rücken zu und lief zu den ausgelassenen Stimmen seiner Freunde ins Spielzimmer.
Aber auch die Kraft und Energie seiner Kinder würde eines Tages versiegen, davon war Joakim überzeugt, sie würden alt, ihre Gesichter grau werden und in sich zusammenfallen. Hinter den fröhlichen Gesichtern waren bleiche Totenschädel mit leeren Augenhöhlen.
Er schüttelte den Kopf über seine eigenen Gedanken.
»Tschüss, Papa!«, rief Livia, nachdem er sie in die Garderobe der Vorschule begleitet hatte. »Kommt Mama heute Abend nach Hause?«
Als hätte ihr Gespräch am Frühstückstisch gar nicht stattgefunden.
»Nein, nicht heute Abend, aber ich komme und hole dich ab«, sagte er resigniert.
»Früh, ja?«
Livia wünschte sich in den letzten Tagen immer, frühzeitig abgeholt zu werden – wenn Joakim sie dann aber tatsächlich früher als gewöhnlich von der Vorschule abholte, konnte sie sich nicht von ihren Freunden trennen.
»Natürlich, ich komme früh.«
Er nickte ihr zu, und Livia verschwand im Spielzimmer. Gleichzeitig streckte eine grauhaarige Frau ihren Kopf um die Ecke.
»Hallo, Joakim«, sagte sie und sah ihn sorgenvoll an.
»Tag.«
Er erkannte sie, es war die Leiterin der Einrichtung, Marianne.
»Wie geht es Ihnen?«
»Nicht so gut«, antwortete
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