Nebelsturm
Holmblad einen kurzen Blick zu.
»Gut«, sagte er. »Vielen Dank, dass Sie gekommen sind.«
»Keine Ursache«, entgegnete Holmblad und fügte hinzu: »Natürlich haben Sie das Recht und die Möglichkeit, diese Sache weiterzuverfolgen, das sollten Sie wissen, aber wir würden es sehr zu schätzen wissen, wenn …«
Westin schüttelte den Kopf.
»Ich verfolge gar nichts … es muss jetzt ein Ende haben.«
Er brachte sie zur Eingangstür. Draußen auf der Treppe schüttelte er den beiden Polizisten die Hand.
»Vielen Dank für den Kaffee«, sagte Tilda.
Die Dämmerung war bereits hereingebrochen, es hing der Geruch von verbranntem Laub in der Luft. Unten am Strand leuchtete der Leuchtturm.
»Unser treuer Freund«, sagte Westin und nickte zum Südturm.
»Müssen Sie sich eigentlich um die Leuchttürme kümmern?«, fragte Holmblad.
»Nein, die sind automatisiert.«
»Ich habe vor Kurzem gehört, dass die Steine der Türme von einer alten, verlassenen Kapelle stammen«, sagte Tilda und zeigteauf den Wald nördlich von Åludden. »Die soll auf der Landzunge gestanden haben.«
Das klang irgendwie schmierig, so als würde sie Reiseleiterin spielen, aber Westin schien interessiert zu sein.
»Wer hat Ihnen das denn erzählt?«
»Gerlof«, antwortete Tilda. »Das ist der Bruder meines Großvaters aus Marnäs, er weiß so einiges über Åludden. Wenn Sie wollen, kann ich ihn fragen und …«
»Gerne«, unterbrach Westin sie. »Sagen Sie ihm ruhig, dass er herzlich eingeladen ist, mal auf einen Kaffee vorbeizukommen.«
Als sie wieder im Auto saßen, warf Tilda einen letzten Blick auf das lange Wohngebäude. Sie musste an die vielen stillen Zimmer denken, dann fiel ihr wieder die Kleidersammlung im Schlafzimmer ein.
»Ihm geht es nicht gut«, erklärte sie.
»Selbstverständlich nicht«, erwiderte Holmblad. »Er trauert.«
»Ich frage mich, wie es den Kindern ergeht.«
»Kleinkinder vergessen schnell«, behauptete Holmblad nüchtern. Er bog zurück auf die Küstenstraße nach Marnäs und sah zu Tilda.
»Sie haben da in der Küche ein paar … überraschende Fragen gestellt, Davidsson. Haben Sie sich etwas dabei gedacht?«
»Nein … es war vielmehr ein Versuch, mit ihm ins Gespräch zu kommen.«
»Ja, das hat vielleicht sogar funktioniert.«
»Wir hätten ihm auch noch weitere Fragen stellen können.«
»Ach ja?«
»Ich habe den Eindruck, dass er noch mehr zu erzählen hat.«
»Worüber denn?«
»Weiß ich nicht«, gab Tilda zu. »Vielleicht … über Familien geheimnisse.«
»Alle haben Geheimnisse«, widersprach Holmblad. »Selbstmord oder Unfall? Das ist hier die Frage … aber das ist nicht unsere Aufgabe.«
»Man könnte doch nach Spuren suchen«, schlug Tilda vor, »ganz unvoreingenommen.«
»Spuren wovon denn?«
»Na … von einer zweiten Person auf dem Hof.«
»Die einzigen Spuren stammten doch von der Verunglückten«, wandte Holmblad ein. »Außerdem war Westin der Letzte, der seine Frau lebend gesehen hat. Das war seine Aussage. Wenn wir einen Mörder suchen, müssen wir mit ihm beginnen.«
»Ich dachte nur, wenn ich Zeit habe …«
»Sie werden keine Zeit haben, Davidsson. Schutzpolizisten leiden unter ständigem Zeitmangel. Sie müssen Schulklassen besuchen, Betrunkene anhalten und festnehmen, die Graffiti-Schmierer zur Strecke bringen, Einbrüche aufklären, in den Straßen von Marnäs patrouillieren und den Verkehr auf den Landstraßen im Auge behalten. Darüber hinaus müssen Sie Ihre Berichte schreiben und nach Borgholm schicken.«
Tilda dachte einen Moment nach:
»Aber mit anderen Worten«, hob sie an, »wenn nach Erledigung all dieser Aufgaben noch etwas Zeit übrig bleiben sollte, dann könnte ich durchaus an der einen oder anderen Tür der Höfe um Marnäs anklopfen und nach Zeugen für den Tod von Katrine Westin suchen? Das wäre dann in Ordnung?«
Holmblad starrte durch die Windschutzscheibe, ohne ein Lächeln auf den Lippen.
»Ich habe das Gefühl, neben einer angehenden Kommissarin zu sitzen«, brummte er.
»Vielen Dank«, erwiderte Tilda, »aber ich habe kein Interesse an einer steilen Karriere.«
»Ja, so sagt man wohl!« Holmblad seufzte, als würde er an seine eigene Laufbahn denken müssen.»Machen Sie, was Sie wollen«, fügte er dann hinzu. »Sie verwalten, wie schon gesagt, Ihre Zeit selbst, Davidsson. Sollten Sie jedoch etwas entdecken, müssen Sie es an die zuständigen Experten weiterleiten. Am wichtigsten ist, dass Sie alle Ihre
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