Neben Der Spur
Valentin sich aufrichten, er massiert sich den Nacken, schüttelt seine steif gewordenen Knie.
»Komm, ist alles vorbereitet«, sagt Rolf.
Auf dem Couchtisch vor der weißen Maralunga-Couch wartet tatsächlich schon ein eingeschalteter Laptop.
»Da kannst du dich hinsetzen und loslegen.«
»Was soll ich denn schreiben?«
»Meld dich erst mal bei deinem Mailsystem an und gib dein Passwort ein!«
Valentin will sich einloggen, doch die Verbindung klappt nicht. Klappt auch beim zweiten Anlauf nicht.
Rolf wird ungeduldig. »Gib her! Wahrscheinlich vertippst dich dauernd.«
Er wirft sich in den Sessel, zieht den Laptop vor sich.
»Deine Mail-Adresse kenn ich ja – und wie ist das Passwort?«
»i-F-z-B-w-z-f, so wie: im Frühtau zu Berge wir ziehn, fallera.«
»Das ist zu einfach, solltest du mal ändern. Das kann jeder knacken. Also großes, nein, kleines I, großes F – ha, du hast die Umschalttaste gedrückt und es nicht gemerkt. So ein bisschen mehr Technik-Affinität wär nicht übel. Sonst bleibst du für den Rest deines Lebens ein Alien auf diesem Planeten.«
Rolf tippt mit der Geschwindigkeit einer langjährigen Phonotypistin in die Tasten, schiebt Valentin schließlich den Laptop hin, lässt Valentin seinen Text begutachten:
Liebe Gudrun, leider hat man mir mein Handy gestohlen. Deshalb schreibe ich diese Mail von einer kleinen Pension in Pamplona aus, die einen Internetanschluss hat. Ich hab mir schon eine Blase gelaufen, doch sonst bin ich fit. Morgen geht es weiter.
Ich hoffe, bei Euch ist alles in Ordnung und Onkel Hermann hatte einen schönen Geburtstag. Grüß ihn von mir und sag ihm, dass ich ihm bald eine Ansichtskarte schicke. So was mag er doch so gern.
Dein Valentin
»Okay so?«
Valentin schluckt. Dein Valentin würde er nie schreiben, nur: Valentin. Aber Rolf mag es nicht, wenn man seinen Stil kritisiert.
»Nicht okay?«
»Doch, doch«, versichert Valentin, »aber ich würde unbedingt auch dich grüßen lassen.«
Rolf lacht laut auf. »Du bist gar nicht dumm. Das ergänze ich.«
Ein kleines Lob bloß. Aber es tut so gut!
Noch besser tut die Dusche. Valentin lässt das warme Wasser lange über seine Haut rieseln, seift sich ausgiebig mit dem Syndet in Rolfs Badezimmer ein, zumal es laut Werbeaufschrift garantiert ohne tierische Stoffe hergestellt ist. An was Rolf nicht alles denkt!
Als Valentin frisch rasiert und mit geputzten Zähnen ins Wohnzimmer zurückkehrt, hat Rolf eine Mahlzeit für ihn vorbereitet: zwei frische Brötchen mit Mandelaufstrich, dazu eine Avocado und eine rote Paprika, gewaschen und aufgeschnitten. Und als Krönung ein großes Glas Bier und einen doppelten Doppelkorn.
»Damit du gut schlafen kannst«, sagt Rolf und nickt ihm zu. So gütig, so warmherzig nickt er – wie Hermann früher.
Valentin sinkt tief in die Couch, zieht die Beine zum Schneidersitz zusammen und betrachtet das weiß gebeizte Mobiliar, den schwarzbraunen Berberteppich mit den orangefarbenen Mustern, die sich in den luftigen Vorhängen entlang der Fensterfront wiederholen. Sogar die Fitnessgeräte, die in der Fernsehecke aufgebaut sind und mit denen Rolf – täglich, wie er sagt – seine Muskeln trainiert, passen mit ihrem schwarz-cremeweißen Design harmonisch in dieses katalogtaugliche Wohnzimmer. »Würd verdammt gern ein paar Tage hierbleiben«, seufzt er.
»Geht nicht«, sagt Rolf trocken. »Wir müssen heute Nacht weiter! – Was klappert da?«
»Wieso? Hab nichts gehört.«
»Es windet ein bisschen. Bestimmt hab ich irgendwo im Keller ein Fenster aufgelassen. Ich geh mal nachsehen.«
Das Bier kühlt Valentins Aufregung Schluck für Schluck herunter, der Doppelkorn wärmt von innen. Bestimmt wird alles gut, wenn er in Spanien ist. Vielleicht kann er dort studieren, Kunstgeschichte zum Beispiel, ja, das könnte ihm gefallen, neben Philosophie, versteht sich …
Lautes Gerumpel aus dem Treppenhaus schreckt ihn auf. Dann ein Schrei, leise, fast ersterbend.
Valentin springt von der Couch, stürzt in den Flur. »Rolf? – Rolf? Bist du gefallen? Bist du verletzt?«
Keine Antwort. Es ist so still im Haus, dass man den noch immer eingeschalteten Laptop surren hört. Hat Rolf nicht gerade was von einem Fenster im Keller gesagt?
»Rooo-olf?« Valentin beugt sich über das Geländer nach unten, erkennt ein schwaches Neonlicht, betritt die erste Stufe, spürt einen Windhauch über seinem Kopf, einen Hieb an der Schläfe. Alles wird schwarz.
Tatsächlich gibt es
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