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Neben Der Spur

Neben Der Spur

Titel: Neben Der Spur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ella Theiss
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sie sich Sorgen. Ein flaues Gefühl entfaltet sich in ihrer Magengrube wie ein flatterndes Küken, das mit einem Mal einem aufplatzenden Ei entweicht. Ja, diese Hühnergeschichte! Vielleicht war es ein Fehler, Anteile einer Bioeierfarm im Osten zu kaufen. Läuft wohl nicht unbedingt immer korrekt ab. Und dann das aufwendige Projekt hinter der tschechischen Grenze, in Cheb, wo die neuen Produkte getestet werden …
    Gudrun hat Routine in Bewerbungsgesprächen, kann trotz des wachsenden Flattermanns in der Magengegend gelassen erscheinen und weiterfragen: »Wir sind ein vegetarischer Betrieb und wünschen nicht, dass Mitarbeiter sich zur Selbstversorgung Erzeugnisse aus totem Tier mitbringen – aus Rücksicht auf die Mehrheit der Kollegen. Wäre es ein Problem für Sie, sich entsprechend zu verhalten?«
    »Nö, kein bisschen«, sagt die junge Frau und schüttelt vehement ihren Kopf.
    Natürlich würde es Gudrun besser gefallen, wenn sich die Bewerberin einer etwas gepflegteren Sprache bediente. Das wird Hans-Bernward ihr noch beibringen müssen. So kann man sie nicht auf die seriösen Medien loslassen! Doch nobody is perfect, wie die Amerikaner sagen. Und je schneller die Neubesetzung vonstatten geht, umso eher kann Gudrun sich der Vorbereitung ihres Konzerts widmen.
    Also stellt Gudrun endlich die Frage, die normalerweise am Anfang steht und bei der Rolf eigentlich anwesend sein sollte: »Warum haben Sie sich bei uns beworben?«
    Viele Bewerber liefern dazu eine vorgefertigte, ausführliche Begründung, an deren Vortrag sie lange gefeilt haben. Gudrun lehnt sich zurück in ihrem Sitz, in der Hoffnung, so ein wenig Zeit zu gewinnen, und lässt den unerträglichen Gedanken, dass Rolf womöglich nicht zurückkommt, Revue passieren. Was wäre, wenn er irgendwo verunglückte? Wenn er eine heimliche Geliebte hätte, mit der er auf und davon …? Schon allein, um der missliebigen Situation zu entgehen, in der die Firma seit dem Anschlag steckt?
    Wie soll Gudrun dann einen geeigneten Geschäftsführer finden? Und einen neuen Liebhaber? Nicht dass Gudrun Rolf wirklich liebt. Aber er nimmt ihr lästige Entscheidungen ab und er gibt ihr das Gefühl, begehrenswert zu sein. Daran hat sie sich gewöhnt. Wenn sie ehrlich ist, führt er bei ihr ein Lakaiendasein. Ist deshalb ihre ganze Verbindung ein Fehler? Aber welche Art von Verbindung wäre kein Fehler, wenn man Mitte fünfzig und vermögend ist?
    Der seltsame Vogel lächelt gewinnend, nimmt einen Schluck Kaffee und plappert ausführlich über »Spaß am Texte machen«.
    Spaß! Gudrun hätte auch gern mehr Spaß. Würde lieber an ihrem Flügel sitzen als diesem jungen Ding im Wollpullover gegenüber. Eine milde Arroganz meldet sich. Gudrun mag nichts mehr fragen. Rolf soll kommen. Jetzt soll er kommen! Sofort!
    Zum Glück ist Hans-Bernward bei der Sache, holt weit aus, spricht von der Sinnhaftigkeit, die in der Aufgabe liegt, den Menschen eine gesunde Nahrung anzubieten, spricht endlich den Passus im Bewerbungsschreiben an, in dem Frau Rosenkranz angibt, am liebsten in Teilzeit arbeiten zu wollen, da sie ihre Eltern bei der Pflege der gehbehinderten und auch schon etwas verwirrten Großmutter unterstützen möchte.
    Gudrun kommt nicht umhin, sich beeindruckt zu zeigen. Und denkt an Hermann. Und wie dankbar sie wäre, wenn Valentin sich ein wenig kümmern würde …
    »Ein nachvollziehbares und überaus löbliches Motiv«, sagt Hans-Bernward und atmet hörbar auf. »Von daher ist eine Teilzeitstelle von fünfundzwanzig bis dreißig Stunden wohl ideal?«
    Gudrun grinst in sich hinein. Natürlich hat er im Hinterkopf, dass ihn kaum jemand aus einer Teilzeitposition heraus dominieren kann. Es sei ihm gegönnt!
    Da nickt auch die junge Frau, strahlt sogar, als sei dies genau ihre Vorstellung gewesen.
    Die Tür fliegt auf. Frau Fried platzt mit einem zusätzlichen Gedeck herein, gefolgt von Rolf, der sichtlich übernächtigt, aber frisch rasiert und bester Stimmung die Versammlung grüßt.
    Der Flattermann in Gudruns Magengrube stiebt auf und davon. »Darf ich vorstellen: unsere Anwärterin auf die ausgeschriebene PR-Stelle, Frau – äh – Rosenkranz.«
     
    Es ist wie in einem Albtraum. Da reißt der Boden unter seinen Füßen auf und ein Sog zieht ihn an den Rand eines Abgrunds. Oder ein formloses Wesen wölbt sich über ihn und holt mit einer Machete aus. Dann will Valentin schreien, sich wehren, aber die Arme kleben an seinem Leib fest und die Kehle gibt keinen Laut frei. Aus

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