Neben Der Spur
noch Leute, die Briefe verschicken. Mit der Post! Zwischen einem Schwall von Mode- und Kosmetikkatalogen, die Karo ihrer gelegentlichen Teilnahme an Preisausschreiben zu verdanken hat, fischt sie einen Briefumschlag aus Recyclingpapier heraus, abgeschickt gestern – von der Firma Hepp. So schnell? Das kann nur eine Absage sein, glaubt Karo, sonst hätten die angerufen. Sie schiebt den Umschlag zwischen die Zähne, um eine Hand frei zu bekommen und die blöden Kataloge in den Altpapiercontainer zu werfen, den der Hausmeister sinnigerweise neben den Briefkästen aufgestellt hat.
Karo stapft, ihre Einkaufstasche geschultert, sich tapfer tröstend, die vier Stockwerke hinauf in ihre Mansardenwohnung. Macht nichts, wenn es eine Absage ist. War ja nur ein Spaß. Und die Gelegenheit, mal eine Musterbewerbung zu schreiben, mit der sie es auch anderswo probieren kann! Allein dass sie auf die Idee gekommen ist, sich eine PR-Stelle zu suchen, hat sie dieser Anzeige zu verdanken …
In der Wohnung angekommen, starrt sie unschlüssig auf das Kuvert. Ob sie sich die sicherlich serienmäßig verfasste Absage jetzt schon antut oder lieber erst vorm Schlafengehen? Die Neugier siegt, Karo reißt den Umschlag auf, fummelt das gefaltete Anschreiben auseinander, liest und staunt: … würden wir uns freuen, Sie am kommenden Dienstag … um 10.30 Uhr persönlich …
Karo beißt sich in die Faust, um nicht laut aufzulachen. Das ist tatsächlich eine Einladung zum Bewerbungsgespräch.
Zur Feier des Abends braut sie sich einen Espresso mit zwei Tropfen Süßstoff, süffelt ihn langsam aus und denkt nach. Ja, sie will den Job! Nein, PR für Tütensuppen zu machen ist keine Traumkarriere, aber lange muss Karo ja nicht bleiben. Außerdem ginge Teilzeit. Eine halbe PR-Stelle, da könnte sie fast so viel verdienen wie jetzt – und nebenher für Zeitungen schreiben. Und zwar nix zum öden Tagesgeschäft im Lokalen. Keine Hundertjährigen, keine Leguane, nicht mal Kindergartenoffensiven. Sondern schöne große Reportagen zu knackigen Themen für die Wochenendbeilage. Wo sich sonst eher die Cracks vom Feuilleton und der Politikseite verewigen. Mit einem tollen Thema könnte auch Karo dort landen, der Löffler würde ihr schon helfen. Weil er sie im Grunde mag. Mit einer verlässlichen Gage im Rücken hätte Karo endlich die Zeit und die Ruhe, was Besonders aufzutun.
Wenn es beim Tagblatt erst geklappt hat, dann wird Karo es mal bei der Frankfurter Rundschau probieren, beim Spiegel, beim Focus … Investigativ könnte sie arbeiten. Wie Günter Wallraff. Sich zum Beispiel als Obdachlose verkleiden, um zu erleben, wie es ist, Obdachlose zu sein. Ein Buch darüber schreiben. Einen Bestseller natürlich!
Und dann mal nicht Interviewerin, sondern Interviewte sein. ›Ach bitte, verschonen Sie mich mit Ihren langweiligen Fragen zu meiner Person, bleiben wir bei der Sache‹, hört Karo sich näseln. ›Und eine kleine Aufwandsentschädigung, sagen wir fünfhundert Euro, verlange ich schon. Ja, besprechen Sie das ruhig erst mit Ihrer Geschäftsleitung. Aber kommende Woche bin ich schon wieder unterwegs …‹
Auf der Frankfurter Buchmesse wird Karo aus ihrem Bestseller lesen. Und Autogramme geben. Alex wird weitab vom Rampenlicht stehen und zugucken, chicoreegelb im Gesicht vor Neid … Aber hallo! Das ist ein Bild, das Karo motiviert. Sie muss sich auf das Vorstellungsgespräch eins-a-mäßig einstellen. Denn vor den Erfolg haben die Götter den Schweiß gesetzt, wie Karos Vater manchmal zitiert.
Apropos Schweiß: Gibt es noch was Öko-Baumwoll-Ähnliches im Schrank, das nicht von den Joggingtouren her müffelt? Karo inspiziert ihre Garderobe. Die Ausbeute ist gering: ein paar tofubeige Leggings. Doch die dazu passende grellrote Tunika kommt für die Ökos nicht infrage, auch das völlig unvegetarische Leoparden-Shirt nicht. Karo wühlt in ihrem Inventar, findet schließlich einen Strickpullover mit Rollkragen, den die Mama bei ihrem letzten Besuch bei ihr vergessen hat. Sie zieht ihn über, betrachtet sich im Spiegel. Zu groß ist er, baumelt weit um den Po. Total fett sieht sie darin aus! Der raspelkurze Haarschnitt wirkt unproportional. Egal, bei einem Ökoverein ist das nicht so wichtig. Tja, und die Farbe ist einfach perfekt: salatgrün.
Seltsamer Vogel, denkt Gudrun, als die magere junge Frau durch die Tür tritt und ihr eine Hand, zart wie ein Blütenblatt, reicht. Dieses hautenge Beinkleid mag dem Modegeschmack geschuldet sein. Doch
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