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Neben Der Spur

Neben Der Spur

Titel: Neben Der Spur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ella Theiss
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wozu muss sie trotz des heute relativ warmen Tags einen überlangen Strickpullover tragen? Nun ja, sie ist die Dritte und Letzte in der Reihe der Vorstellungsgespräche, die wegen der Zerstörungen im Hauptflügel in der Kantine erfolgen. Rolf ist entgegen seiner Ankündigung nicht zurück, also muss Gudrun selbst die Gesprächsleitung übernehmen, obwohl die abstürzenden Läufe im zweiten Satz des griegschen Klavierkonzerts schon seit Stunden darauf warten, von ihr intensiv geübt zu werden. Insbesondere diese Läufe sind es, die überhaupt nicht laufen.
    Die beiden bisherigen Anwärter auf die PR-Stelle mochten gediegener erscheinen als dieses junge Ding. Und der erste, ein Mann Mitte dreißig mit opulenten Schultern, schien von den Formalien her bestens geeignet. Leider benahm er sich weitaus zu selbstsicher, um für Hans-Bernward infrage zu kommen, der das Vorstellungsgespräch schweigend, mit verschränkten Armen und finsterer Miene begleitet hatte. Der zweite Kandidat, ausrangierter Chefredakteur eines katholischen Kulturmagazins, dürfte Rolf kaum überzeugen. Der hatte schon vorab seinen Vorbehalt formuliert: Wenn die Katholiken jemanden entlassen, dann muss der entweder allzu aufmüpfig oder von vorvorgestern sein, hatte er geargwöhnt. Und tatsächlich zeigte der Herr eine derart heftige Phobie gegenüber Anglizismen, der nicht einmal Gudrun folgen konnte, sprach andauernd von »Heimrechnern«, »elektronischen Sendungsschreiben« und »Datenaustauschträgern«.
    Diese dritte Kandidatin, Karoline Rosenkranz, dreiundzwanzig Jahre jung, bringt zumindest drei dicke Pluspunkte mit: Sie hat hervorragende Zeugnisse, laut Bewerbungsschreiben auch gute Kontakte zum Mainzer Tagblatt. Und: Sie könnte sofort anfangen. Woran nicht nur Rolf, sondern auch Gudrun sehr gelegen ist.
    Frau Rosenkranz nimmt den angebotenen Kaffee – ohne Milch und Zucker – mit einem überaus höflichen Dankeschön an. Fragt interessiert, ob es sich um fair gehandelten Kaffee handele. Anderen trinke sie nämlich nur ausnahmsweise.
    Rolfs Sekretärin, Frau Meister, die das Protokoll führen soll, runzelt die Stirn, eilt sich indes, die Frage zu bejahen. Was vermutlich gelogen ist, sie aber einmal mehr daran erinnern dürfte, dass manche Mitarbeiter es gern sähen, wenn die Geschäftsleitung auch in kleinen Dingen etwas mehr Umweltbewusstsein an den Tag legte, etwa bei den Beständen in der Teeküche. Frau Fried jedenfalls, die just ein Tablett mit Getränken und Gebäck hereinträgt, zeigt sich von der Bemerkung sichtlich beeindruckt, wirft einen beredten Blick in die Runde.
    Gudrun ergreift die Gelegenheit, die etwas indiskrete, aber nun einmal notwendige Ernährungsfrage zu stellen, die traditionsgemäß bei der Firma Hepp eine wichtige Rolle bei der Wahl des Personals spielt. Auch wenn sie noch weniger als sonst einen spöttelnden Unterton vermeiden kann. »Ich entnehme Ihrer Frage, dass Sie sich ökologisch korrekt ernähren.«
    »Man tut, was man kann«, sagt die junge Frau, in eher hoheitsvollem als bescheidenem Tonfall. »Ich esse jedenfalls bewusst und diszipliniert. Weißbrot und Nutella zum Beispiel meide ich.«
    Frau Fried, noch immer mit der Gruppierung von Gläsern, Saftflaschen und Haferkeksen beschäftigt, was wohl eher ihrer Neugier als der organisatorischen Notwendigkeit zu verdanken ist, blickt triumphal in die Runde, als habe sie selbst diese Äußerung getroffen.
    »Hand aufs Herz, Frau Rosenkranz: Sind Sie Vegetarierin?«, will Hans-Bernward wissen.
    »Das nun gerade nicht«, sagt die junge Frau mit deutlichem Bedauern. »Ich esse zwar niemals Wurst oder fettes Fleisch, aber gelegentlich eine Scheibe Putenschinken und ein wenig Forellenfilet – das schon.«
    Jetzt ist es an Hans-Bernward, Gefallen zu zeigen. Er legt keinen Wert auf Purismus, dagegen viel auf Ehrlichkeit. In dem Punkt ist er ausnahmsweise mit Rolf einer Meinung. Nicht mal zwei Prozent der Bevölkerung seien Vegetarier, sagt Rolf immer. Man verzichte auf die besten Kräfte, wenn man bei der Auswahl engstirnig vorgehe. Obendrein handele man sich andernfalls Lippenbekenner ein, die die Firma Hepp insgeheim für spleenig halten.
    Rolf! Wo bleibt er? – Hat ihr eine SMS geschickt: Es tue ihm leid, aber es habe Turbulenzen gegeben. Er versuche, bis zehn Uhr zurück zu sein. Und sie soll sich keine Sorgen machen, es gebe auf der Strecke oft einen Stau.
    Gudrun sieht verstohlen auf die digitale Wanduhr. Fünf nach zwölf. Keine Sorgen? Doch! Inzwischen macht

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