Neben Der Spur
ist ungewöhnlich für eine Achtjährige.«
Bea zuckt die Achseln. »Dass Mira ungewöhnlich ist, ist ja der Knackpunkt.«
Die Therapeutin bleibt unbeeindruckt. »Ich habe mich vermutlich nicht klar genug ausgedrückt. Mira hat die Differenzierungs- und Abstraktionsfähigkeit einer Erwachsenen. Einer überdurchschnittlich intelligenten Erwachsenen.«
Bea zittert, greint. »Ich würde sie so verdammt gern streicheln. Darf ich sie nicht mal streicheln?«
»Besser nicht. Mira reagiert sehr empfindlich auf Berührung. Sie erlebt ein Streicheln wie andere Menschen eine Sturmböe. – Aber daran arbeiten wir auch.«
Karo hat begriffen: »Beherrsch dich, Bea! Das wäre kein gutes Ende für diese wirklich nette Veranstaltung. Geh aufs Klo und beruhige dich.«
Beate gehorcht. Dann folgt der übliche Abgesang: Händeschütteln. Danke schön. Hat mich gefreut. Wiedersehen!
»Sie dürfen beim nächsten Mal gern wieder mitkommen«, raunt die Heimleiterin Karo zu.
Karo steuert ihren Golf durch die Innenstadt, Bea hockt neben ihr, hat sich offenbar in den Waschräumen des Heims was eingeworfen.
»Hast du das gehört? – Sag mal: Hat die echt was gesagt von ›einer überdurchschnittlich intelligenten Erwachsenen‹? Das hat die doch gesagt, oder?«
»Hat sie«, versetzt Karo möglichst trocken.
Bea beginnt, einigen imaginären Zuhörern im Fond des Wagens von ihrer Tochter zu erzählen. »So wunderschön ist sie und so wunderklug … Ihre Lehrerin ist von ihr begeistert. Dass sie ein bisschen eigen ist, dass man sie nicht mal streicheln darf …« Bea schluchzt schon wieder.
»Na und«, sagt Karo. »Und außerdem arbeiten sie dran.«
Montagmorgen, Karo hat verpennt. Um 9.20 Uhr betritt sie mit wehenden Rockschößen ihres neuen BaumwollTrenchcoats den Verwaltungsflügel der Firma Hepp. Sie wappnet sich gegen mögliche verdrießliche Bemerkungen mit der Ausrede, dass ihre pflegebedürftige Großmutter gestürzt sei, verpflastert und mit homöopathischen Kügelchen habe versorgt werden müssen und so weiter. Zum Glück nimmt niemand von Karo Notiz, geschweige denn von ihrer Verspätung.
Den Grund erfährt Karo erst, als sie in de Beers Büro kommt: Es gebe eine neuerliche Katastrophe zu beklagen, die das Unternehmen bereits am Freitagabend ereilt habe. Nein, keine Explosion sei es diesmal, sondern eine Art medialer Fallout: Die Tomatensuppe Hepps Beste hat bei dem Test des Verbrauchermagazins gesund genießen die Note ausreichend verliehen bekommen.
»Diese Schande ist jetzt an jedem Kiosk nachzulesen.« De Beer schiebt seine Unterlippe in Richtung Nase, während er den vergilbten Papierstapel auf seinem Schreibtisch zu sortieren versucht.
Personalbeauftragte Bärbel Fried verteilt heute eigenhändig und – füßig die Post, schenkt allen, denen sie begegnet, einen dramatischen Aufschlag der Augen und die Bemerkung, dass sie es schon immer geahnt habe.
Karo würde verdammt gern den Artikel lesen, aber die neue Ausgabe liegt vorerst beim Geschäftsführer auf dem Tisch, bewacht von Chefsekretärin Frau Meister.
»Was hatten die Tester denn auszusetzen?«, will Karo wissen.
De Beer unterbricht sich beim Sortieren, lehnt sich vor, als verrate er Karo ein Geheimnis: »Beanstandet werden zum einen der Geschmack …«
Karo nickt. Die Grünkernsuppe, die sie sich neulich abends aufgebrüht hat, war bloß mit viel Salz und Chilipulver essbar.
»… und zum anderen der Zusatz von Hefeextrakt.«
»Hefeextrakt? Wozu ist der drin?«
»Um den Geschmack zu verbessern!«
»Aha!«, sagt Karo und überlegt, ob sie wegen der laxen Antwort beleidigt sein soll oder ob ein Tick Logik darin stecken könnte. Immerhin hat de Beer von solchen Sachen Ahnung.
»Hefeextrakt, also ein Extrakt aus Hefe?« Karo fallen die bleigrau schimmernden Würfel ein, die ihre Oma früher beim Kuchenbacken zerbröckelte und in Milch auflöste. Vermischt mit viel Mehl, Ei und Zucker war der Teig essbar. Das rohe graue Zeug dagegen roch und schmeckte, wie es aussah: scheußlich. »Vielleicht kann man die Hefe weglassen und was anderes drantun, Chili oder so?«
De Beers Augenbrauen heben sich. »Liebe Frau Rosenkranz, bitte wenden Sie sich mit Rezeptvorschlägen direkt an die Entwicklungsabteilung. Ich habe im Moment keine Zeit, mich näher damit zu befassen.«
»Mach ich«, sagt Karo und will das Stichwort Hefeextrakt in das Memo ihres Smartphones eintippen, als die Lautsprechanlage dazwischenfunkt: Herr de Beer und Frau Rosenkranz möchten in
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