Neben Der Spur
hätte die wohl mit dem gemacht?«
Rick zieht sich die Handkante quer über seine Gurgel. »’nen Kopf kürzer hätten sie ihn gemacht.«
Der Willi nickt und der Walter pladdert weiter: »Der musst doch die Judde in die Gaskammern bugsier’n damals, damit er selwer net neikommt!«
HYPERLINK „http://www.welt.de/politik/deutschland/article13370450/Ex-KZ-Waechter-John-Demjanjuk-zieht-ins-Pflegeheim.html“ »So isses«, sagt der Schorsch und zieht geräuschvoll an seiner Zigarre. »Da werd der Kerl von de Judde selver mangels Beweise freigesproche, aber mir Deitsche müsse den verurteile für Dausende von Euro Prozesskoste …«
»Ei, wieso dann von den Judde?«, will der Willi wissen.
»Ei, in Israel halt.« Der Schorsch setzt seinen Bierhumpen an und trinkt ihn halb aus.
»Und dann wissen die Ämter nicht, wohin mit dem kranken Mann«, wirft Rick ein.
Das scheint das passende Stichwort zu sein. Prompt ereifert sich das Trio derart, dass ein wahrer Sprühregen bieraromatisierter Spucke niedergeht. Karo lehnt sich zurück, um nicht nass zu werden.
»Und dann lasse se den Mann aus humanitäre Gründe frei, damit er im Seniorewohnheim a Vollpension hat.«
»Alles uff Koste vom Steuermichel!«
»E Sauerei is des«, mischt sich jemand vom Nebentisch ein. Ungefähr so alt wie die Herzbuben ist er, aber schlanker, hat eine dicke und wie von einem Waffeleisen geprägte Gesichtshaut und eine Stimme, die auf wenigstens dreißig Roth-Händle am Tag schließen lässt. »Fünf Joahr hot der krieht – des is für so ’n alde Mann grad so gut wie lewenslänglisch«, versetzt er.
Offenbar hat er nicht so exakt verstanden, worum es geht. Aber egal, der Walter, der Willi und der Schorsch wiehern los, schlagen sich auf die Schenkel. Sie prosten einander zu und trinken auf ex. Kamilla bringt Nachschub.
Der Hagere legt eine Reihe ockergelber Zähne frei, stellt sich Rick und Karo vor. »Bin de Gernot. Un schon schlappe achtzig.«
»Hätt ich nie gedacht«, schleimt Rick, legt seine Linke auf Karos Knie, während die Rechte sein Pils ergreift. Rick nippt an seinem Glas, sagt »Ahhh!« und wischt sich theatralisch das Kinn. Um sofort wieder den Kopf zu neigen, die Augen aufzureißen und die plappernden alten Saufköpfe reihum zu fixieren.
Karo ist beeindruckt. Glänzender Schauspieler. Nur dass er plötzlich kein bisschen mehr wie Justin Timberlake aussieht. Eher wie – ja, wie wer denn? Sie durchforstet ihr visuelles Gedächtnis, schickt Ricks Physiognomie durch all ihre Gehirnwindungen. Es will ihr nicht einfallen.
»Und ihr arweidet im Irrehaus?«, fragt der Gernot.
Rick und Karo nicken.
Alles lacht. Der Gernot gibt eine Runde Doppelkorn aus. Ricks ›Braut‹ bekommt einen Kräuterlikör.
Wie alt dieser Naziverbrecher aus dem Dorf, dieser Bruder vom alten Hepp, jetzt wohl wäre, fragt Rick so unvermittelt in die Runde, dass Karo zusammenzuckt. Aber die Ohren aufspannt.
»Tjaaa, de Bruder von euerm Seniorchef …« Der Gernot massiert sich die Waffeleisenwangen, als säße darin sein komplettes Erinnerungsvermögen. »So circa fünfundneunsisch, glaab isch.«
Der Walter und der Willi tippen eher auf »hunnertunfünf«.
Sie diskutieren die Frage rauf und runter, können sich aber nicht mal darauf einigen, wer von den beiden HeppBrüdern der ältere und wer der jüngere gewesen ist.
Karo grinst in sich hinein, denkt an Regel Nummer fünf ihres Karriereratgebers : Wenn Sie etwas besser wissen als Ihre Kollegen, plaudern Sie es nicht sofort aus. Vielleicht ergibt sich eine Gelegenheit, bei der Sie mit Ihrem Wissen besser punkten können.
Aber sich ins Gespräch einschalten, das will Karo jetzt. Sie versucht sich als ebenso talentierter Stichwortgeber wie Rick: »Den Kerl hat man sicher damals gar nicht erst versucht zu schnappen. Die meisten Nazis hat man ja laufen lassen – auch hier im Dorf, oder?«
Ha, Volltreffer! Der Walter und der Willi schütteln synchron die Köpfe, dass ihre spärlichen Haare zittern.
»Awwer naaa«, ruft der Gernot und reckt die Faust wie ein Altkommunist. Erzählt von einem Blockleiter, der in den Vierzigern ein ganz scharfer Hund gewesen sei. Den hätten die Amis verhaftet und erst nach sechs Jahren wieder rausgelassen. Dann musste der im Bahnwärterhäuschen hocken und die Schranken rauf- und runterkurbeln. Und die Buben am Ort hätten straffrei Steine nach ihm werfen dürfen.
Tja, aber den Helmut Hepp, so erzählt der Gernot weiter, den hätten sie tatsächlich nie gekriegt.
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