Neben Der Spur
Frau Hepp, dass Sie dort sind? Oder jemand sonst aus der Firma?«
»Wo denken Sie hin!«
Westenberger bleibt eine Weile stumm, dann nimmt seine Stimme einen eindringlichen Duktus an: »Hören Sie, de Beer, ich habe Vali geholfen, sich vorerst dort zu verstecken. Ich möchte ihm, und natürlich auch Frau Hepp, die Schmach einer Festnahme durch die Polizei ersparen. Der Anschlag hat schon Wirbel genug ausgelöst. Valentin bereut seine Tat, würde gern alles ungeschehen machen …«
»Das meine ich nicht. Valentin ist in Not. Er hat geweint, konnte kaum sprechen.«
»Da haben Sie wohl etwas falsch interpretiert. Natürlich ist Valentin äußerst niedergeschlagen. Er hat Heimweh. Aber er ist bestens untergebracht. Und ich werde ihm die Chance eröffnen, ein neues Leben zu beginnen. Weil ich mich ihm verbunden fühle. Ich habe verdammt viel für ihn getan. Was man von seinen Verwandten nicht behaupten kann. Dass Sie mir jetzt unterstellen, mich nicht hinreichend um ihn zu kümmern, das schmerzt, mein lieber Herr de Beer. Das schmerzt! Aber natürlich, Undank ist der Welt Lohn!«
»Herrr Westenbergerrr!« Hans-Bernward kann nicht verhindern, dass seine Stimme eine Nuance zu grimmig ausfällt. »Ich unterstelle Ihnen gar nichts. Aber ich fantasiere auch nicht. Valentin selbst glaubt, man habe ihn entführt und eingesperrt.«
»Das wäre ja – verrückt wäre das. Da müsste der arme Kerl völlig durchgedreht sein. Nun gut, wenn dem so ist … Ich kümmere mich darum, werde einen Therapeuten zu ihm schicken. Nächste Woche fahre ich überdies selbst wieder nach Cheb und werde mich persönlich …«
»Ich bin schon hier, Herr Westenberger. Und ich möchte noch heute nach ihm sehen. Ihn mit nach Hause nehmen, wenn er das möchte.«
»Ich weiß nicht, ob das klug ist. Wenn er aktuell so verwirrt ist … Lassen Sie uns vernünftig sein und ihn in seinem Zustand einem Arzt vorstellen.«
»Auch gut. Sobald ich Valentin gesehen und gesprochen habe. Und den Arzt auch.«
Westenberger lacht hohl. »Sie sind ja ein ganz harter Hund, de Beer. Na gut, ich verstehe, dass Sie sich selbst davon überzeugen möchten, dass es Ihrem Neffen, respektive Urgroßneffen gut geht, respektive den Umständen entsprechend gut …«
»So ist es.«
»Tja, dann – meinetwegen! Ich werde veranlassen, dass Sie abgeholt und zu Valentin gebracht werden. Wenn Sie mit ihm gesprochen haben, können wir uns wieder kurzschließen und alles Weitere beraten. Oder wir warten geduldig bis kommenden Sonntagabend und beziehen Frau Hepp in die Beratung mit ein. Ist das so in Ordnung für Sie?«
»Ja.«
»Es kann natürlich eine gute halbe Stunde dauern, bis der Chauffeur bei Ihnen eintrifft. Lassen Sie sich von Frau Kutilowa einen Kaffee bringen. Also dann, bis später.«
»Danke.« Bernward de Beer drückt die Auflegentaste, schnauft ein paarmal durch. Harter Hund, hat Westenberger gesagt. Noch nie im Leben hat jemand Hans-Bernward de Beer einen harten Hund genannt. – Ja, er hat sich durchgesetzt. Auf der ganzen Linie. Und er fühlt sich großartig, auch wenn der wichtigste Teil seiner Mission unerledigt ist. Das Stichwort Chauffeur hat angesichts der bislang so aufreibenden Reise einen angenehmen Klang. Das Stichwort Kaffee genauso.
Hans-Bernward wirft einen triumphalen Seitenblick auf das Sideboard, wo die Nachtgarderobe samt Spritze und Zellstoffpad auf wen auch immer warten. Begibt sich zurück ins Foyer, lässt sich auf einen der Kunstledersitze fallen, blättert in einer Automobilzeitschrift und süffelt den Kaffee, den Frau Kutilowa ihm persönlich bringt. Als der Chauffeur, ein wenig gesprächiger Mittvierziger, ihn abholt, fühlt er sich angenehm müde und entspannt. Der Ischiasnerv gibt Ruhe, der Tinnitus auch. Hans-Bernward nimmt im Fond Platz, räkelt sich in die Polsterung und genießt die Fahrt. Bis ihm übel wird. So übel, dass ihm die Finger ihren Dienst versagen und das klingelnde Handy in der Reverstasche nicht mehr erreichen, bevor er in Ohnmacht sinkt.
4
NEBEN DER SPUR
Valentin fliegt. Die Füße voran. Schwerelos. Durch das Universum. Lichter überall. Blinken. Glitzern. Ein Sinuston, Ätherstimmen, hell und sphärisch. Engel sind um ihn her, fliegen mit ihm mit. Umkreisen ihn, um und um, so geschwind, dass ihre weißen Gewänder hinter ihnen herwehen. Ist das der Tod? Die Sphärenmusik schwillt an und alles wird dunkel, unglaublich dunkel. Er muss die Augen schließen, so dunkel. Aber die Luft ist frisch und kühl und rein,
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