Neben Der Spur
sich der Polizei zu stellen. Und zwar am kommenden Samstagmorgen, nach Gudruns Konzert. Hans-Bernward wird ihn bis dahin in seiner Wohnung beherbergen.
Gott sei Dank ist der Flug nach einer knappen Stunde überstanden. Hans-Bernward kann den Tross der zur Gepäckausgabe eilenden Passagiere vermeiden. Er hat sich wohlweislich mit seinem Bordkoffer begnügt.
Die Bahnfahrt nach Cheb über Marktredwitz indes erweist sich als extrem beschwerlich, weil der Zug brechend voll ist und Hans-Bernward, ritterlich wie immer, seinen reservierten Sitzplatz einer Schwangeren überlässt. Er quetscht sich in den Korridor, landet zwischen zwei müffelnden Tramperrucksäcken, lehnt sich an die Resopalwand neben der Toilettentür und muss an die Tiertransporte denken, die Vali seit Jahren anprangert. Unschuldige Lebewesen derart zusammenzupferchen, ist ethisch wirklich nicht korrekt, befindet Hans-Bernward und beschließt, entsprechende Petitionen im Bundestag künftig zu unterstützen.
Erschöpft kommt er am Bahnhof an, würde gar zu gerne erst mal sein Hotel am Marktplatz aufsuchen, sich aufs Bett werfen, alle viere von sich strecken. Doch dafür bleibt keine Zeit. Er lässt sich per Taxi zum Scientific Institute for Obesity Cheb (SIfOC) bringen, wo den Firmenakten zufolge die Versuchspersonen für das Diätprojekt akquiriert und betreut werden.
Ein rührend schlichtes Foyer mit einem an Autobahnraststätten erinnernden Mobiliar empfängt ihn. Immerhin sehr sauber und akkurat, von megaschlanken Grazien in weißen Kitteln belebt, die auf Stöckelschuhen hin und her flanieren. Er tritt an den Empfangstresen.
Eine Dame mit Klubjacke, Haarknoten und dem Namensschild L. Kutilowa widmet sich ihm. Lässt ihn seinen Vor-, Nachnamen und Adresse mehrfach buchstabieren, fragt schließlich nach seinem Hausarzt und den Medikamenten, die er derzeit einnimmt.
Hans-Bernward schüttelt den Kopf. »No medicine, no doctor.« Dass er seinen Neffen suche, erklärt er stockend und in seinem zugegebenermaßen etwas rheinhessisch gefärbten Englisch.
Anfangs gibt die Frau vor, nichts zu verstehen, dann scheint sie nicht geneigt, derartige Anfragen entgegenzunehmen. Schüttelt ihrerseits den Kopf und fordert ihn auf, seine relatives samt Adresse und Telefonnummer zu benennen.
Statt einer Antwort zieht er ein Foto von Vali aus seiner Brieftasche, das diesen mit typisch mürrischer Miene bei seiner Abiturfeier zeigt. »Valentin Hepp, nineteen years old.«
»Oh!« Sie stutzt. Der Abstand zwischen Augen und Brauen vergrößert sich dramatisch, ohne dass die Stirn Falten wirft.
Grotesk sieht das aus. Botox? Das muss Botox sein. Hans-Bernward hat noch nie eine Frau gesehen, die sich das Lähmungsgift ins Gesicht spritzen lässt. Er starrt sie an. Vielleicht glaubt sie daher, er fände sie schön. Jedenfalls wird sie freundlicher und verspricht, den Chef rufen zu lassen.
Hans-Bernward muss auf einem unbequemen Kunstledersitz im Nebenzimmer Platz nehmen. Keine Illustrierten, keine Musik. Zeichnungen an den Wänden informieren über die verschiedene Verteilung von Fett am menschlichen Körper. Eine Dreiviertelstunde lang erscheint kein Chef. Stattdessen bringt eine Stöckelschuhschwester eine Garnitur aus Nachtwäsche, Handtuch und Seiflappen vorbei, packt alles dümmlich lächelnd neben de Beer auf eine Art Sideboard. Dann legt sie eine vorbereitete Spritze auf einem Tablett ab, dazu einen kleinen Zellstoffpad.
Nachtwäsche? Eine Spritze? De Beer befällt Panik. Was haben die mit ihm vor? Er will aus dem Raum stürzen, da läutet sein Handy. Am Apparat ist Rolf Westenberger, hörbar ungehalten.
»Was haben Sie in Cheb zu suchen, de Beer? Was fällt Ihnen ein, ohne Rücksprache …«
»Ich suche meinen Neffen.«
»Welchen Neffen?«
»Meinen Neffen Valentin Hepp.«
»Seit wann ist er Ihr Neffe?«
»Er ist Frau Hepps Großneffe. Und ich bin Frau Hepps Cousin. Beziehungsweise Urgroßcousin. Somit ist Valentin auch mein Urgroßneffe. Und ich sein Urgroßonkel …«
»Ich habe Sie nicht nach Ihren Verwandtschaftsverhältnissen gefragt, de Beer, sondern danach, was Sie im Institut zu suchen haben.«
»Sie haben bestritten, dass Valentin mein Neffe ist.« Hans-Bernward mäßigt seine Lautstärke. »Und jetzt möchte ich bitte wissen, wo er ist.«
Die Stimme am anderen Ende klirrt vor Genervtheit. »Und wie kommen Sie auf die Idee, ihn in Cheb zu suchen?«
»Er hat mich angerufen.«
»Wie bitte? Vom Cheb aus?«
»Jedenfalls aus Tschechien.«
»Weiß
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