Neben Der Spur
sodass die Lungen vor Glück erbeben. Das Universum ist wunderbar kühl. Und voll von Engeln …
Es ist nur dieses eine Wort, fett auf die Titelseite aufgedruckt, das Gudrun veranlasst, eines jener billigen bunten Frauenmagazine zu kaufen, die zu lesen ihr sonst nicht in den Sinn käme. Sie ist auf dem Heimweg von der Anprobe ihres neuen, in einer Wiesbadener Boutique erstandenen Abendkleids, das in der Taille noch ein wenig gerafft werden muss. Und schlendert die hundert Meter in Richtung Taxistand, da blafft dieses Wort sie aus einem Kioskfenster heraus an und schickt ihr einen kalten Schauer den Rücken hinunter. Benommen geht sie weiter, hält an, sieht unwillkürlich um sich, fühlt sich ertappt, schämt sich und weiß nicht, warum.
Sie tut, als betrachte sie die Auslage einer Konfiserie, geht schließlich mit klopfendem Herzen zurück zum Kiosk, kauft das Blättchen sowie die aktuelle Financial Times, um es unauffällig darin zu verstecken. Das Wort heißt Doppelleben.
Zu Hause angekommen, schließt sich Gudrun in ihr Arbeitszimmer ein. Griegs Klavierkonzert muss warten, auch das E-Mail-Fach, das achtundvierzig ungelesene Nachrichten meldet, und erst recht Frau Frieds Bestellliste, diesmal für energenisiertes Wasser in Pfandflaschen. Gudrun gibt per Rundmail vor, unbedingt eine Stunde ungestört arbeiten zu wollen, sinkt in den Bürostuhl und durchblättert die Seiten mit der hässlichen Blockschrift, den miserabel bearbeiteten Fotos ungetreuer Prominenter von Schwedenkönig CarlGustav über Arnold Schwarzenegger bis Jörg Kachelmann. Auf den nächsten Seiten dann lauter Frauen wie du und ich und die bösen Erfahrungen, die sie machen mussten.
Er trug mich auf Händen, kaufte mir rote Rosen, schwor mir ewige Liebe, berichtet Friseurin Katrin M. (35). Doch dann der Schock: Ihr Marcel lebte in Luxemburg mit einer viel jüngeren Frau zusammen …
»Tsss!« Gudrun schüttelt den Kopf. Ob die Journalisten das erfunden haben? Es klingt allzu einfältig.
Noch größer war der Schreck für Bankkauffrau Regine F. (34). Der Handelsvertreter Michael S. (37) hatte nach vierjähriger Bekanntschaft auf ihr Drängen hin endlich das Aufgebot bestellt. Als der Tag kam, verschwand er von der Bildfläche. Regine F. fand heraus, dass er verheiratet war und zwei Kinder hatte.
Ob diese Frauen zu vertrauensselig gewesen seien, fragt das Blatt emphatisch, um die Frage in der nächsten Zeile zu verneinen. Bei vielen der Betrogenen sei durchaus manchmal ein Verdacht aufgekommen. Klein und schlecht hätten sie sich gefühlt, als sie heimlich die Hosen- und Brieftaschen ihrer Liebhaber durchsuchten. Einmal hatte Katrin M. sogar den Klassiker unter den Indizien entdeckt: Lippenstiftspuren an seinem Hemdkragen! Marcel habe gelacht und erklärt, dass von einem großzügigen Arbeitgeber bestellte Callgirls der Crew nach einer Klausurtagung etwas Entspannung bringen sollten. Ein großer Teil der Kollegen hätte von dem Angebot Gebrauch gemacht. Aber er, Marcel, hätte natürlich abgelehnt, sich mit zwei bis drei Bier begnügt und seiner geliebten Katrin eine SMS geschickt.
»Das mit der SMS stimmte sogar«, berichtet Katrin M. und bricht bei diesen Worten in Tränen aus …
Gudrun denkt nach. Hat sie bei Rolf jemals etwas Verräterisches wie ein fremdes Parfum, Make-up oder eine private Visitenkarte wahrgenommen? Nein. Nie! Sie liest weiter.
Immer wenn seine Dienstreisen überhandnahmen, wusste Marcel Katrins Zweifel zu zerstreuen: teure Geschenke, Einladungen in ein feines Restaurant, fortwährende Liebes- und Treueschwüre …
Rolf hat dieser Tage für Gudrun ein Collier erstanden, das gut und gerne fünftausend Euro gekostet haben dürfte. Fünfundzwanzig kleine Aquamarine, tropfenförmig geschliffen und in Weißgold gefasst. Insgeheim erscheint Gudrun ein so teures Geschenk paradox, da es nur durch das stattliche Salär finanziert sein kann, das Rolf in Gudruns Firma verdient. Über ein schlichtes Silberkettchen seiner verstorbenen Mutter hätte sie sich mehr gefreut. Das Collier solle ein Talisman sein, eigens für ihr erstes großes Konzert, hat er ihr erklärt. So sei er ganz nahe bei ihr, obwohl er die Aufführung leider nur von der Loge aus erleben könne. Diese strahlenden Aquamarine habe er ausgesucht, weil sie so hervorragend mit ihrem neuen nachtblauen Abendkleid harmonieren. Wie eine Göttin werde Gudrun auf der Bühne erscheinen. Und eine Göttin sei sie ja auch – seine Göttin!
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