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Nebenan: Roman

Nebenan: Roman

Titel: Nebenan: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Hennen
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gehört er doch zu den einflussreichsten Männern der Stadt. In der Kölner Unterwelt geschieht nichts, wovon er nicht Kenntnis bekommt. Und was Ihre Anspielung auf das Milieu angeht … Seine geschäftlichen Aktivitäten erstrecken sich in erster Linie auf die Rotlichtszene. Doch wer bin ich, über ihn ein Urteil zu fällen oder ein ernst gemeintes Hilfsangebot zurückzuweisen. Er hat uns schon einmal vor fünf Jahren unterstützt. Damals war am helllichten Tag ein Kreuz aus der Schatzkammer des Doms gestohlen worden. Kein besonders kostbares Stück … Sie kennen es wahrscheinlich. Es ist das Kreuz, das dem Erzbischof bei seinen Besuchen im Dom vom Westportal bis zum Altar vorangetragen wird. Es dauerte nicht einmal eine Woche, bis das Kreuz zurück war. Damals hatte unser Freund ungefragt Initiative gezeigt und die Diebesbeute auf seine Weise sichergestellt. Wer der Täter war, hat die Polizei niemals erfahren. Doch was zählt das auch. Ich bin sicher, er ist für sein Vergehen zur Rechenschaft gezogen worden.« Der Kardinal drehte sich um und sah Pater Anselmus nun direkt an. Das graue Abendlicht zeichnete tiefe, dunkle Furchen in sein Gesicht. »Was zählt, ist, dass seit mehr als dreihundert Jahren niemand mehr den Dom bestohlen hat und ungestraft davongekommen ist. Sie sollten langsam lernen, dass wir hier in Köln ein eigenes Völkchen sind und unsere eigenen, für Außenstehende vielleicht … unkonventionell erscheinenden Wege beschreiten. Wer hier lebt, hätte wissen müssen, dass man den Dom nicht bestiehlt. Was nun geschehen wird, liegt allein in Gottes Hand.«
    *
    Doktor Salvatorius legte die gebogene Nadel zurück und betrachtete zufrieden die lange Naht an der linken Außenseite des Unterkiefers. »Sie werden sehen, Frau Beimer, in ein paar Tagen ist alles wieder beim Alten. Die Schwellung wird zurückgehen und Sie haben keine Schwierigkeiten mehr, Ihre Texte aufzusagen. So eine Wurzelspitzenresektion wirkt wahre Wunder! Danach fühlt man sich wie neugeboren, nicht wahr?«
    Die schon etwas ältere Dame im Zahnarztsessel röchelte eine unverständliche Antwort.
    »Rosanne, wechseln Sie bei Frau Beimer doch bitte die Kompressen«, wies Salvatorius seine Assistentin an und schenkte ihr sein berühmtes, perlweißes Lächeln. »Sie hatten da wirklich eine üble Zyste am Backenzahn. Wollen Sie mal sehen, was ich da herausgeholt habe?«
    Die Dame erbleichte und schüttelte entschieden den Kopf.
    »Tja, dann sehen Sie morgen wieder vorbei, und in einer Woche werden wir die Fäden ziehen. Vorne am Empfang bekommen Sie einen Termin … und noch ein Rezept über Dolomo. Es kann sein, dass der Kiefer in ein oder zwei Stunden, wenn die Betäubung aufhört zu wirken, etwas wehtun wird. Ich musste immerhin ein kleines Fenster in Ihren Kieferknochen fräsen, um an die Wurzelspitzen heranzukommen, und dann …«
    »Bitte keine weiteren Details!«, nuschelte die Patientin mühsam mit ihrem tauben Kiefer.
    Salvatorius begleitete sie noch bis zur Tür des Behandlungszimmers und drückte ihr die Hand. »Wenn Sie Beschwerden haben, melden Sie sich, ganz gleich zu welcher Tageszeit. Sie haben ja meine Nummer.«
    Frau Beimer nickte knapp und hatte es augenscheinlich eilig, die Praxis zu verlassen. Rosanne brachte sie zur Empfangstheke, damit sie ihr Rezept nicht vergaß. Nach einer OP waren die meisten Patienten wie ängstliche, kleine Tiere. Völlig kopflos dachten sie nur noch daran, fortzukommen und dem Ort, an dem man ihnen wehgetan hatte, so schnell wie möglich zu entfliehen.
    Undank ist der Zahnärzte Lohn, dachte Salvatorius und ging ins Behandlungszimmer. Gedankenverloren betrachtete er die blutverschmierten Instrumente auf der Ablage. In den letzten beiden Tagen hatte er außerordentlich viele chirurgische Eingriffe gehabt. Für gewöhnlich widmete er sich lieber der Prothetik, was wesentlich mehr Geld einbrachte, aber in letzter Zeit machte ihm die Chirurgie einfach mehr Spaß. Er genoss den Geruch von Blut, Angstschweiß und Speichel. Das vertrieb seine Kopfschmerzen! Die anderen Gerüche der Praxis machten ihm immer mehr zu schaffen. Wenn er morgens hereinkam, wurde ihm vom Duft der Desinfektionsmittel übel. Er sollte heute Abend mit der Putzfrau reden. Offensichtlich hatte sie sich angewöhnt schärfere Reinigungsmittel zu benutzen.
    Er strich über die Sammlung von Skalpellen und Knochenhobeln, die er bei der OP benutzt hatte. Den kalten Stahl zu berühren ließ ihn wohlig erschauern. Der Duft von Chanel Nr.

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