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Nebenan: Roman

Nebenan: Roman

Titel: Nebenan: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Hennen
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wunderbarste Blume, die jemals auf dem Geusenfriedhof erblüht ist.«
    »Quatsch!« Till hatte sich in den letzten Tagen zwar an den Gedanken gewöhnt, dass manche Märchenfiguren wirklicher waren, als einem lieb sein mochte, aber die Vorstellung, in einen Teil eines Baumes verliebt zu sein … das war nun doch zu viel!
    »Du meinst, es gibt keine Pflanzen, die wie Menschen aussehen«, meinte Wallerich. »Hast du dir jemals eine Alraunewurzel angesehen? Und überhaupt, warum muss etwas aussehen wie ihr Langen , damit ihr akzeptieren könnt, dass es sensibel ist, lebt und Gefühle hat! Man sollte Neriella vor dir beschützen! Ich hätte nicht übel Lust, dich …«
    »Chef … ähm …« Birgel zupfte aufgeregt an Wallerichs Kaninchenfellweste. »Nicht dass du damit nicht Recht hättest, aber ich glaube, wir sind angekommen.«
    Sie hatten einen schmalen Einschnitt zwischen zwei Felswänden passiert und vor ihnen öffnete sich ein enger Talkessel, der offenbar durch den Betrieb eines längst wieder aufgegebenen Steinbruchs entstanden war. Hier schien der Winter keine Macht zu haben. Die wenigen Bäume im Tal erblühten in frischem Frühlingsgrün. Rosenranken und Efeu wanden sich den rotgoldenen Fels der Steilwände hinauf. Ein Bach mit kristallklarem Wasser brach aus dem Berg und wand sich durch die Enge, in der die Ui Talchiu verharrten, um das verwunschene Tal zu bestaunen.
    Inmitten des ehemaligen Steinbruchs erhob sich ein grob behauener, grauer Monolith, in dessen Oberfläche gewundene Muster eingeschnitten waren. Ein unstetes flackerndes, grünes Leuchten umgab den Stein und tauchte auch das Tal in weiches, schattenloses Licht. Unter einem Felsüberhang, fast ganz unter Efeuranken verborgen, lag eine Einsiedlerklause, neben der ein großes Schlachtross stand. Durch die offene Tür der Hütte tönte Lautenklang und jemand sang mit mehr Enthusiasmus als Englischkenntnissen Yesterday .
    Es war Martin, der als Erster seine Stimme wiederfand. »Ein Beatlesfan in einem Märchenwald! Das hätte John Lennon gefallen!«
    »Können wir vielleicht im Tal weiterreden?«, jammerte Birgel. »Da haben wir endlich Ruhe vor diesem verrückten Grünzeug. Das Gefasel von Gänseleberpastete, Schokopudding und zarten Lammkeulen macht mich noch wahnsinnig!«
    Till lenkte seine Stute in das Tal hinab. Es war hier angenehm warm. Von einem Augenblick zum anderen schienen sie vom Winter in den Frühling gewechselt zu sein.
    Im Geäst der Eiche neben der Einsiedlerklause schlug eine Nachtigall ihr melancholisches Lied an. Der Lautenklang in der Hütte brach ab. »Halt’s Maul, Isolde! Ich weiß auch, dass sie da sind«, polterte der Sänger.
    Die Ui Talchiu waren auf Höhe des Monolithen angekommen, als Rolf plötzlich Almat in die Zügel griff. »Hast du das gesehen?« Der blonde Krieger sprang aus dem Streitwagen und kniete sich neben die Unkrautstauden, die rings um den grauen Felsblock wucherten. »Hier baut jemand Cannabis an!«
    »Wer ist der Kerl, den wir hier treffen sollen?« Obwohl sie noch gut zwanzig Schritt von der Hütte entfernt waren, hatte Till seine Stimme zu einem Flüstern gesenkt.
    »Der größte Halunke, den man in weitem Umkreis finden kann! Ein Schläger und Leutebetrüger … und ein Dichter, wie man hören kann«, ergänzte Wallerich nach kurzer Pause in einem Tonfall, als gäbe es für ihn keinen nennenswerten Unterschied zwischen Poeten und Gaunern. »Er wird euch bei den Dunklen hereinbringen, und wenn ihr ein bisschen Glück habt, auch wieder hinaus. Der Mistkerl kennt dieses Pack ganz gut.«
    Till verkniff sich zu fragen, warum Wallerich plötzlich zwischen »uns« und »euch« unterschied. »Wir reisen doch in Verkleidung. Warum brauchen wir dann jemanden, der uns einführt? Wir werden doch erwartet … oder?«
    Der Heinzelmann verschränkte die Hände und ließ seine Fingerknöchel knacken. Dann räusperte er sich, um noch einen weiteren Augenblick bis zur Antwort hinauszuschinden. »Die … ähm Heldengestalten , die ihr darstellt, würde man in heutigen Polizeiakten als gemeingefährliche Psychopathen, Raubmörder und dergleichen führen. Unser Ritter hier war zu seiner Zeit auch sehr – wie soll ich sagen – umstritten. Nöhrgel dachte sich, dass ihr überzeugender wirken werdet, wenn ihr mit ihm zusammen auftaucht. Wie heißt es auch? Gleich und Gleich gesellt sich gern.«
    In der Einsiedlerklause erklang ein einzelner, schriller Lautenakkord. Dann hörte man einen schweren Stuhl über hölzerne

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