Nebenan: Roman
Begegnung zischen den Lebenden und den Toten. Die Sidh, die Hügel, in denen die Elfen und die vergangenen Helden wohnten, öffneten sich und die Welten der Sterblichen und Unsterblichen vermischten sich für eine Nacht.
Am Waldrand waren Scheite für ein großes Feuer aufgeschichtet und der Clan hatte sich in weitem Kreis darum versammelt. In der Finsternis konnte man kaum seine Schuhspitzen sehen und so begriff Till erst, als sie die Stimme erhob, dass er sich ausgerechnet neben Mariana eingereiht hatte.
»Ihr Götter der Finsternis, Schatten der Verstorbenen, hört ihr mich? Wir sind gekommen euch zu opfern!«
Irgendwo am Waldrand krächzte eine Krähe. Die ganze Szene erinnerte Till an einen Horrorfilm aus den Sechzigern und ihm wäre gewiss mulmig zumute gewesen, hätte Mariana die Worte nicht so langsam und gedehnt gesprochen, als klebe ihr jede einzelne Silbe an der Zunge fest und sträube sich mit sämtlichen Vokalen und Konsonanten dagegen, über ihre Lippen zu gelangen.
»Nehmt den Wein, das Blut der Erde, als unsere Gabe!« Mariana nahm nun das größte Methorn des Clans, um eine ganze Flasche drittklassigen Chianti zu verschütten. Zufällig hatte Till früher am Abend gesehen, wie die Druidin mit ihren Priesterinnen zusammensaß und heimlich den teuren Burgunder becherte, der ursprünglich für das Ritual vorgesehen war. Danach füllten sie das Methorn mit einem dieser stapelbaren Weine, die in Milchtüten vertrieben wurden. Till grinste. Falls es tatsächlich irgendwelche senilen Götter aus alten Zeiten geben sollte, dann hatte Mariana sie mit diesem Auftakt zum Ritual wahrscheinlich dazu eingeladen, sich in einem Jahrhundertwinter auszutoben.
»Euch zu Ehren wurden alle Feuer gelöscht und die Welt in Dunkelheit getaucht. Nun segnet unsere Herdplätze, bevor wir die Flammen neu entfachen.«
Die Druidin kniete nieder und Till hörte das leise Knirschen eines Feuerzeugrädchens. Eine winzige Flamme erschien und verlosch sofort wieder. Mariana fluchte herzhaft und versuchte es erneut. »Wo zum Teufel stecken denn die Grillanzünder!« Sie zerrte die sorgfältig gestapelten Scheite auseinander. Wieder flammte das Feuerzeug auf und diesmal konnte Till die weißen Trockenspiritusblöcke erkennen, die zwischen dürren Ästen und welkem Gras unter den Holzscheiten versteckt waren. Auf einen Schlag stand der ganze Holzstoß in Flammen. Mariana zuckte erschrocken zurück. Vermutlich hatte jemand die Holzscheite sicherheitshalber noch mit Lampenöl oder Diesel getränkt, damit es beim rituellen Entfachen des Feuers zu keiner Panne kam.
Die Druidin hatte sich fast sofort wieder gesammelt und begann erneut damit, gedehnt feierlichen Wörterbrei abzusondern. »Ich grüße auch euch, Clan der Ui Talchiu, die ihr vollzählig erschienen seid, und möchte euch folgende Worte aus der Erzählung von der Geburt des Condobar in Erinnerung rufen: Jeder der Urates, der nicht zur Samhaimnacht erschien, wurde wahnsinnig, und bereits am nächsten Morgen wurden sein Tumulus, sein Grab und sein Grabstein errichtet! «
Till tastete nach dem Spickzettel, den er sich in den Stiefelschaft geschoben hatte. Gleich war er dran und er konnte sich an kein einziges Wort aus dem Ritualtext erinnern.
»Ehret die Geister dieser Nacht!«, forderte die Druidin und vom Waldrand erklang so passend der Schrei eines Käuzchens, dass Till sich fragte, ob Mariana dort eine Priesterin versteckt hatte, die einen Ghettoblaster mit einer Vogelstimmen-CD bediente. Indessen schob er die Hand immer tiefer in den Stiefelschaft, ohne den verdammten Spickzettel zu finden.
»Und nun grüßt die Geister der Elemente und ruft unseren besonderen Gast für diese Nacht! Älteste , führt das Ritual fort!«
Als sich alle Blicke zu Till wandten, hielt er gerade seinen rechten Stiefel in der linken Hand, während sein rechter Arm fast völlig im Stiefelschaft verschwunden war und sein rechter Fuß allen Zuschauern das Geheimnis preisgab, dass Tills wärmste Socken rot und weiß geringelt waren. Till hatte einmal gelesen, dass man mit selbstbewusstem und würdevollem Auftreten jede peinliche Situation überspielen könne. Also setzte er eine Miene auf, als sei es völlig selbstverständlich, zum Samhaimritual als Ältester einen Stiefel in der Hand zu halten. Möglicherweise wäre es ihm auch gelungen, die anderen zu täuschen, wenn er sich wenigstens ansatzweise an seinen Text erinnert hätte, doch so musste er improvisieren.
»Ich … äh … rufe die
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