Nebenan: Roman
Schwertkampfübungen im Garten der Villa Alesia , und als sie in ihre erste Schlacht auf einem Mittelaltermarkt zogen, waren sie ein Fechterduo geworden, das weder Tod noch Teufel fürchtete, höchstens vielleicht tschechische Stuntmen in Plattenrüstungen, die mit Zweihandschwertern jonglierten wie normale Sterbliche mit einem Brotmesser. Doch jetzt kamen sie immer seltener dazu, die Klinge zu kreuzen, und waren jeder für sich gezwungen Kämpfe auszufechten, bei denen man mit einem Schwert in der Faust nicht bestehen konnte.
Tills Blick wanderte zu Gabriela, die ins Feuer starrte und eine Haarsträhne um ihren Zeigefinger aufrollte. Sie wirkte mürrisch und unnahbar, wie fast immer. Gabriela war schön wie eine Märchenfee, nur dass Feen in der Regel nicht Schwarz trugen oder sich das Gesicht weiß puderten, und auf gar keinen Fall benutzten sie so viel Eyeliner, dass ihre braungoldenen Augen wie Raubvogelaugen wirkten. Auch trugen Feen – zumindest in Tills Vorstellung – in der Regel eher eine Garderobe, die Assoziationen an Nachthemden weckte, und keine hautengen Catsuits oder durchscheinende Kleider, bei deren Anblick einem zum WG-Frühstück regelmäßig der Löffel ins Müsli fiel. Trotz aller Bemühungen, sich mit einer düsteren Aura zu umgeben, wirkte Gabriela eher wie ein ätherisches Geschöpf, zart und zerbrechlich. Dennoch war immer sie es gewesen, die die Energie aufbrachte, die verrücktesten Ideen der Ui Talchiu Wirklichkeit werden zu lassen. Sie hatte die meisten Kostüme geschaffen, die sie trugen, hatte sie gelehrt im Schwertkampf die Eleganz von Tänzern zu bewahren und hatte sie zu dem berüchtigten Zeltlager während der Wintersonnenwende überredet, vom dem alle mit einer ausgewachsenen Grippe in die Villa Alesia zurückgekehrt waren.
Wehmütig dachte Till an den Sommer, in dem sie fast ein Paar geworden waren. Erst hatte Gabriela sich in ihn verliebt, was sich vornehmlich darin geäußert hatte, dass sie noch unnahbarer erschien. Als er dann endlich begriff, was ihre morgendlichen Sticheleien bedeuteten, und er sich in sie verliebte, war es zu spät gewesen. Vielleicht war aber auch deshalb nichts daraus geworden, weil sich Gabriela nur an dem begeistern konnte, was unerreichbar schien?
Tills Blick glitt weiter zu Martin. Groß, breitschultrig und mit einem selbst gefertigten Kettenhemd gewappnet war er das Fundament, auf dem die Freundschaft ihrer kleinen Gruppe ruhte. Martin war eher zurückhaltend und seine Schüchternheit stand im krassen Gegensatz zum ersten Eindruck, den man von ihm haben mochte. Er sah aus wie ein amerikanischer Baseball-Star und wirkte wie jemand, den nichts umzuwerfen vermochte. In Wahrheit jedoch hatte er lediglich hohe Mauern um seine verletzte Seele errichtet.
Als sie jünger waren, hatte Till Martin oft beneidet. Er hatte immer alles bekommen: die neuesten Computerspiele, die angesagtesten Klamotten, ein Mofa, ein Motorrad, ein Auto. Das Einzige, was ihm fehlte, waren seine Eltern. Sie waren die meiste Zeit auf irgendwelchen Kongressen oder in dem Forschungslabor, das sie leiteten. Martin war umgeben von Kindermädchen und Hauspersonal in einer wunderschönen, kalten Villa in Rhodenkirchen aufgewachsen und er hatte sehr früh gelernt, dass die meisten Menschen, denen er begegnete, nicht zu ihm nett waren, sondern zum Geld seiner Eltern.
Till hatte heute noch ein schlechtes Gewissen, wenn er daran dachte, wie seine Freundschaft mit Martin begonnen hatte. Als Schüler hatten sie Martin von ganzem Herzen gehasst. Nicht nur dass er von allem immer mehr als genug hatte, nein, er schrieb auch noch eine Eins nach der anderen und war der zweitbeste Schüler der Klasse. Deshalb hatten sie beschlossen, es ihm einmal so richtig zu zeigen.
Sie waren alt genug gewesen, um zu merken, dass seine Freundschaften nur recht einseitig waren, und sie heckten den Plan aus, ihn zu ihren Rollenspielabenden einzuladen. Für sie waren diese Abenteuer im Geiste einfach das Größte. Man konnte all das sein, was für einen pubertierenden Teenager unerreichbar war. Ein Held, berühmt, reich und edel. Jemand, vor dessen Namen ganze Heere erzitterten. Sie wollten, dass Martin dieses Spiel kennen lernte und dass es ihm gefiel. Sie benahmen sich ausgesucht kameradschaftlich, ihr geheimes Ziel jedoch war es, Martins Helden im Spiel zu ermorden und Martin aus der Gruppe wieder hinauszuwerfen, sobald er sich richtig wohl fühlte. Sie waren vierzehn und hatten das für einen klasse Plan
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