Nebenan: Roman
geistesabwesend den Kopf und sah in die Runde. Niemand reagierte auf ihre Ankunft. Stattdessen richteten sie ihre Aufmerksamkeit auf einen nackten Tänzer mit einem Hirschgeweih. Obwohl … Ein rothaariges Mädchen starrte ihn und Cagliostro mit offenem Mund an.
»Keine Sorge, meine Liebe.« Der Graf lächelte charmant. »Es ist eine Freude, zu sehen, welch entzückende Geschöpfe diese Zeit hervorbringt. Wisst Ihr, dass Ihr eine gewisse Ähnlichkeit mit der Marquise de Pompadour habt?« Cagliostro stieß einen schmachtenden Seufzer aus, bei dem sich dem Erlkönig fast der Magen umdrehte. Sie waren noch keine fünf Minuten hier und schon schien der geile Bock vergessen zu haben, was ihre Aufgabe war.
Das rothaarige Mädchen blinzelte, als wolle es sich vergewissern, dass dies alles nicht nur eine Halluzination war, dann öffnete es den Mund, als wolle es etwas sagen, schloss ihn aber gleich wieder, ohne dass ein Laut über seine Lippen gekommen wäre.
Ich habe schon intelligentere Fische getroffen, dachte der Erlkönig. Es war an der Zeit, hier zu verschwinden. Das Fest ringsherum ging weiter und es war vielleicht nur eine Frage von Augenblicken, bis noch jemand auf sie aufmerksam wurde.
Der Graf machte eine stutzerhafte Verbeugung und wedelte dabei mit seinem Dreispitz herum. »Gestatten, Madame, Alessandro Graf von Cagliostro, zu Ihren Diensten. Die mürrische Gestalt in dem grünen Umhang hinter mir ist niemand anderes als seine Majestät, der Erlkönig. Und zu seinen Füßen kauert mein Dien… ähm, ich meine Baldur, mein Hund.«
»Angenehm«, flüsterte die Rothaarige noch immer sichtlich verwirrt.
»Ihr habt doch nichts dagegen, uns ein Stück weit zu begleiten?« Ohne auf eine Antwort zu warten legte Cagliostro ihr seine Hand um die Hüften und zog sie vom Feuer fort.
Misstrauisch blickte der Erlkönig in die Runde. Niemand schien darauf zu achten, dass das Mädchen ging. Alle waren ganz im Bann des Mannes mit der Hirschmaske und tanzten um ihn herum. Eigentlich ein hübsches Fest, dachte der König beiläufig, während er den anderen folgte. Die alten Götter waren also doch nicht ganz vergessen. Das würde ihnen bei ihren Plänen helfen!
Sie gingen ein Stück den Hügel hinab und gelangten zu einer langen Reihe merkwürdiger Karren. Verwirrt sah sich der Albenfürst um. Nirgends waren Pferde oder Fuhrknechte zu sehen.
Das Mädchen und Cagliostro kicherten albern. Erstaunlich, wie schnell die beiden miteinander vertraut geworden waren! Sie gingen auf eine grüne Kutsche zu, als die Rothaarige zwei silberne Schlüssel aus ihrem Dekolletee angelte und den Verschlag aufsperrte. Die Sitze waren zwar nicht mit Leder bezogen, aber sehr weich.
Cagliostro komplimentierte ihn nach hinten und der Erlkönig ließ es mit sich geschehen. Er spürte eine ungewöhnliche Anspannung in der Natur. Selbst für eine Samhaimnacht gab es außerordentlich viele, ungebundene magische Energien. Etwas hatte sich drastisch verändert, seit er das letzte Mal in der Welt der Sterblichen gewesen war!
»Welches Jahr haben wir eigentlich?«
Die Rothaarige hörte auf zu kichern. »Ihr beide … seid ihr wirklich Geister?« Ein Unterton beginnender Panik schwang in ihrer Stimme mit.
Cagliostro legte seine Hand auf ihren Oberschenkel. »Fühlt sich so ein Geist an?«
Sie kicherte.
»Hättest du die Güte, meine Frage zu beantworten?«, wiederholte der Elbenfürst ruhig.
»Na, es ist das Millennium, ihr zwei Spaßvögel. Das Jahr zweitausend. Ein neues Zeitalter!«, trällerte sie euphorisch und beugte sich dann zu Cagliostro, um dem Stutzer etwas ins Ohr zu flüstern.
Ein neues Zeitalter, beileibe! Zweihundertfünfzig Jahre waren vergangen, seit der Erlkönig aus der Welt der Sterblichen verbannt worden war. Er dachte an die bärtigen Männer mit den Schwertern, die er am Lagerfeuer gesehen hatte. Zumindest einiges war in dieser Zeit besser geworden. Es schien, dass die Pfaffen ihren Einfluss verloren hatten und …
Die Kutsche brüllte auf wie ein verwundeter Löwe. Der Erlkönig wurde in die Sitze gepresst. Im Reflex griff er nach seinem Schwert. Vor der Kutsche schnitt plötzlich gleißendes Licht durch die Finsternis.
Cagliostro hatte versucht von seinem Sitz aufzuspringen, war mit dem Kopf heftig gegen die niedrige Decke gestoßen und benommen auf den Sessel zurückgesunken. Seine Perücke hing ihm schief in die Stirn, was die Rothaarige mit albernem Gelächter quittierte. Dann begann die Kutsche loszufahren, ohne dass
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