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Nebenan: Roman

Nebenan: Roman

Titel: Nebenan: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Hennen
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lodernde Macht, die Hitze und Glut entfacht, und …« Till spürte die Glut in seine Wangen steigen. Verdammte Reime!
    Er hörte jemanden leise lachen und eine Frauenstimme flüstern: »Der beschwört wohl seine letzte Geliebte.«
    Mariana hätte ihn am liebsten mit Blicken getötet. Sie nahm getrocknete Kräuter aus einem Lederbeutel an ihrem Gürtel und warf sie in die Flammen.
    »… die Hitze und Glut entfacht«, wiederholte Till verzweifelt. Dann beschloss er auf die Reime zu verzichten und wenigstens dem Inhalt nach die Grußformel zum richtigen Ende zu bringen. »Ich rufe euch, Geister des Feuers. Seid uns gnädig in der Zeit der Kälte und tragt das Feuer in unsere Herzen … äh, Herde natürlich. Ich rufe dich, gehörnter Herr der Finsternis. Äh, ich rufe den Gehörnten. Tritt ins Licht, um …« Ein Ruf vom Wald unterbrach sein Gestammel. Zwischen den Bäumen erschien eine unheimliche Gestalt mit einer Hirschmaske. Sie war nackt bis auf ein Fell, das um die Hüften geschlungen war. Der ganze Leib war mit einem Muster aus blauen Spiralen und Schlangenlinien bedeckt.
    Die anderen Clansmitglieder begrüßten den Cernunos mit ausgelassenen Rufen. Die Priesterinnen schlugen Trommeln und Kurt spielte auf seiner Flöte. In wildem Reigen tanzten sie um das Feuer.
    Mariana nahm noch einmal eine Hand voll Kräuter aus dem Beutel am Gürtel, um sie in die Flammen zu streuen, und bedachte Till mit giftigen Blicken.
    Almat, der den Cernunos spielte, war genau im richtigen Moment erschienen, um die peinliche Vorstellung zu beenden, dachte Till erleichtert und sah aus den Augenwinkeln, wie sich die Flammen des Feuers grün zu färben begannen. Er hielt noch immer den Stiefel in der Linken. Als er ihn überstreifen wollte, bemerkte er den Spickzettel, den er sich in den geringelten Socken geschoben hatte. Till seufzte. Wenn es Geister gab, die ihren Schabernack mit den Menschen trieben, dann war er heute gewiss ihr Lieblingsopfer gewesen. Er sah zu Mariana hinüber und wollte sich für den peinlichen Auftritt entschuldigen, doch sie beachtete ihn gar nicht mehr, sondern starrte stattdessen wie gebannt in die Flammen, deren Farbe an einen spätsommerlichen Gewitterhimmel erinnerten.
    *
    Der Erlkönig zog sich den Umhang enger um die Schultern. Es war ein lausiges Wetter in dieser Nacht und seine Laune war auf dem Tiefpunkt angelangt. Was hatte ihn nur geritten, als er sich mit diesem Scharlatan eingelassen hatte?
    Missmutig blickte er zu dem untersetzten Kerl, der vor dem halb herabgebrannten Lagerfeuer stand, irgendwelches Kauderwelsch murmelte und sich zwischendurch affektiert in ein spitzengesäumtes Tüchlein schnäuzte. Gestern noch, als ihm diese Witzfigur mit Seidenstrümpfen und gepuderter Perücke ihren Plan auseinander gesetzt hatte, war ihm alles ganz einleuchtend vorgekommen. Dies war die Nacht der Nächte! Sie beide wussten, dass die Zwergenvölker so aufmerksam wie an keinem anderen Tag des Jahres ihre Tore bewachten. Und doch war es die Nacht, in der es am leichtesten fiel, in die Welt der Sterblichen zurückzukehren, wenn man nur den richtigen Weg wählte. Alle Tore, die aus dem Reich der Feenwesen in die Welt der Menschen führten, wurden von den tyrannischen Zwergenvölkern auf das Strengste bewacht. Nur wer ihre ausdrückliche Erlaubnis hatte, durfte hinüber, um sich in der Welt der Sterblichen ein wenig zu amüsieren. Natürlich konnte man auch versuchen durch Zauberei ein Tor zu öffnen, doch gelang dies nur, wenn man einen Ort fand, von dem aus eine Verbindung zu einem Tor in der Menschenwelt bestand. Leider waren auch diese Tore sämtlich von den Zwergenvölkern besetzt. So bestand unter normalen Umständen nicht die geringste Hoffnung, die Feenwelt verlassen zu können.
    In der Samhaimnacht aber galt diese Regel nicht. Es war eine Nacht voller wilder, ursprünglicher Magie, in der die von den Zwergen erzwungene Ordnung ins Wanken kam. Nur in dieser verwunschenen Nacht konnte es geschehen, dass unwissende Sterbliche aus Versehen einen Übergang in die Feenwelt öffneten. Um daraus jedoch Nutzen ziehen zu können, musste man wissen, wann und wo es zu einem solchen Unfall kommen würde. Soweit der Erlkönig wusste, war es bisher noch niemandem gelungen, eine Verbindung zwischen zwei Weltentoren herzustellen, ohne dass es vorher Absprachen gegeben hatte. Dies galt bis vor einer Woche, als Graf Cagliostro uneingeladen auf einem Thing, einer Versammlung der Anführer der Dunklen , erschienen war und

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