Nebenan: Roman
Sache zu sein.«
So vorsichtig kannte er sie gar nicht. Er wandte sich halb um und sah ihr ins Gesicht. Im Licht der Straßenlaterne wirkte sie recht blass. »Jemand hat einen Eichenstuhl auf unseren Streifenwagen geworfen! Das ist unsere Angelegenheit! Und im Übrigen kann es bei dem Chaos heute Nacht eine halbe Stunde oder länger dauern, bis irgendjemand kommt.«
Wieder schrie die Frau oben. In dem Zimmer, aus dem der Stuhl geflogen war, brannte Licht. Es schien, als wolle ein Irrer jetzt eine Tür aus dem Fenster schmeißen. Kowalski machte zwei weitere Schritte zurück. Aus dem Haus ertönte ein Lärmen, als würde jemand mit Vorschlaghämmern auf eine Betonwand eindreschen.
Maria leuchtete mit ihrer Stablampe zum Fenster hoch. Ein Kerl mit einer Perücke war dort oben zu sehen. Er hantierte nicht mit einer Tür, sondern mit einer Patchworkdecke, die so steif wie ein Brett war.
Kowalski zog seine Pistole. »Sie sind verhaftet! Wir kommen jetzt rauf und holen Sie. Machen Sie keine Dummheiten! Wir sind bewaffnet!«
Der Mann beugte sich ein Stück weit aus dem Fenster. »Kommen Sie nicht hinauf. Bringen Sie sich in Sicherheit! Ich kann sie nicht mehr lange aufhalten! Laufen Sie!« Der Rest der Decke glitt aus dem Fenster und blieb aus unerfindlichen Gründen waagerecht in der Luft hängen. Der Mann verschwand im Zimmer. Wieder Schreie. Ziegelsteine flogen aus dem Fenster.
Maria brachte sich hinter der geöffneten Wagentür in Sicherheit. Ein Backstein flog durch das Heckfenster des Streifenwagens. Beim Anblick der zertrümmerten Scheibe fühlte Kowalski fast körperlichen Schmerz. Das war endgültig zu viel!
»Wachtmeisterin Kuhn, wir gehen jetzt da rauf und verhaften diese Randalierer.«
Maria hob den Kopf über die Wagentür. Mit Daumen und Zeigefinger zog sie die Sonnenbrille hervor, die sie stets in ihrer linken Hemdtasche trug. Sie setzte immer diese Brille auf, wenn es amtlich wurde. Sie hatte runde Gläser und ließ sie ein bisschen wie Lara Croft aussehen. Kowalski blickte an sich hinab. Nein, es war jetzt nicht an der Zeit, sich über seine Figur Gedanken zu machen. Er würde nie mehr einem Helden aus einem Computerspiel ähneln.
Mit energischen Schritten stürmte er zur Haustür. Es gab zwei Klingeln. Entschlossen drückte der Oberwachtmeister beide.
»Chef!«
Kowalski fuhr entnervt herum. »Was?«
Maria deutete in Richtung der Straße. Dort flog die Patchworkdecke auf Höhe der Straßenlaternen in Richtung Klettenberg davon. Auf der Decke saßen ein Mädchen, der Kerl mit der Perücke und ein Hund. Kowalski kniff die Augen zusammen, erinnerte sich an dreizehn Jahre Schulbildung und war wieder innerlich gefestigt. Als er die Augen öffnete, konnte er gerade noch sehen, wie das unbekannte Flugobjekt um die nächste Straßenecke davonschwebte.
»Das war ein fliegender Teppich«, stammelte Maria erschüttert. »Du hast ihn doch auch gesehen, nicht wahr?«
»Das war kein fliegender Teppich«, erwiderte Kowalski mit gepresster Stimme. »Wir beide haben genau gesehen, dass es eine Patchworkdecke war, und da es fliegende Patchworkdecken noch nicht einmal in den Märchen von Tausendundeiner Nacht gibt, kann es sich nur um eine Halluzination gehandelt haben. Sieh die Sache doch einmal logisch! Dieses Ding hatte ja wohl eindeutig keinen Motor und auch keine Flügel. Was keinen Motor und keine Flügel hat, kann nicht aus eigener Kraft fliegen! Oder willst du etwa Newton und zweihundert Jahre physikalische Wissenschaft infrage stellen. Was wir da gesehen zu haben glauben, kann es nicht geben! Also gibt es dafür nur eine logische Erklärung: Es war eine Halluzination!«
»So wie dein Geisterfahrer?«
»Das war etwas …« Aus dem Haus erklang ein Krachen wie von einstürzenden Wänden und Kowalski war froh, von unsicheren metaphysischen Argumentationen wieder auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt worden zu sein. »Dort oben brauchen Staatsbürger unseren Schutz vor Rowdys! Es ist nicht unsere Aufgabe, über Physik zu diskutieren!« Er hob seine Dienstwaffe und feuerte dreimal auf das Schloss der Tür. »Uns hat niemand geöffnet«, erklärte er halb entschuldigend. »Ich betrachte das als Widerstand gegen die Staatsgewalt. Wir sind jetzt gezwungen hart durchzugreifen!«
Maria rückte ihre Brille zurecht. Anscheinend reichte schon ein wenig Pulvergeruch, um ihr die übliche Selbstsicherheit wiederzugeben. Sie hielt ihre Waffe mit beiden Händen, hatte die Arme angewinkelt und presste sich den Lauf
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