Nebenan: Roman
ins Herz der Finsternis begeben. Hast du jemals den Herrn der Ringe gelesen, Wallerich? Da sollen zwei Hobbits mitten in einem Festungstal der Bösen einen Ring in einen Vulkan werfen. Ich glaube, diese Aufgabe war vergleichsweise leicht. Unsere Langen werden den Verschwörern, die das Haupt der Dunklen bilden, direkt gegenübertreten. Möglicherweise werden die Ui Talchiu danach einigen Ärger haben. Sie brauchen dann ortskundige Führer, um sich zu verdrücken.«
»Ich war aber schon verdammt lange nicht mehr drüben«, wandte Birgel ein, dem das Gespräch immer weniger gefiel. »Ich kenne mich da fast gar nicht aus. Es gibt bestimmt bessere Führer als mich.«
»Sich schlecht auszukennen ist immer noch besser als sich gar nicht auszukennen«, entgegnete Nöhrgel ruhig. »Das wird eine prima Gelegenheit, berühmt zu werden. Wenn ich zurückkehre, werde ich dafür sorgen, dass ihr beide zu Torwächtern ersten Grades befördert werdet.«
»Du meinst, wir hätten dann das Recht, in der Ratskantine verköstigt zu werden?«, fragte Birgel begeistert. Dort essen zu dürfen war ein Privileg, das in der Regel nur Heinzelmännern zukam, die schon über dreihundert Jahre alt waren und obendrein dem Rat angehörten. Die Kantine war berühmt für die Köstlichkeiten, die man dort servierte, und auch dafür, dass man selbst zwischen den üblichen Essenszeiten stets einige warme Häppchen bekommen konnte. Für das Versprechen, dort künftig Tischrecht zu haben, hätte sich Birgel sogar mit dem cholerischen, alten Vouivre angelegt, dem übellaunigsten aus dem Volk der Alpendrachen.
»Im Übrigen habe ich schon arrangiert, dass Nebenan jemand auf euch wartet. Ich verfüge über ein paar Informanten, die auf keiner Liste des Rates stehen und bei den Dunklen kein Misstrauen erregen werden. Ihr müsst nur geradewegs in den Faselfarnwald reiten …«
»Bei den alten Göttern, was haben wir verbrochen?«, fluchte Wallerich und hieb dabei so heftig auf den Computertisch, dass Nöhrgel am anderen Ende der Leitung wahrscheinlich einen vorübergehenden Bildausfall hatte. »Warum ausgerechnet im Faselfarnwald? Niemand, der seine Sinne beisammenhat, reitet dort freiwillig hin.«
»Und deshalb seid ihr da auch vollkommen sicher vor den Dunklen .«
»Wer ist denn so wahnsinnig freiwillig in den Faselfarnwald zu reiten und auf uns zu warten?«
»Du kennst ihn, Wallerich. Ihr habt euch vor dreißig Jahren schon mal getroffen, als die APO den Unialltag ein bisschen aufgemischt hat. Erinnerst du dich noch an den Tag, an dem jemand in riesigen, roten Lettern Rosa-Luxemburg-Universität über den Eingang zum Hauptgebäude geschrieben hatte? Damals hat dieser verrückte Professor Rubin seine eigene Universität mit Farbbeuteln bombardiert, um den Schriftzug verschwinden zu lassen, und du bist bei dieser Gelegenheit meinem Informanten begegnet. Im Übrigen würde ich dir dringend raten ihn nicht wahnsinnig zu nennen. Ich glaube mich zu erinnern, dass er das nicht sehr schätzt.«
Wallerich atmete aus. »Sag mir, dass es nicht dieser Ritter ist, Chef.«
»Ich muss jetzt leider Schluss machen. Es gibt noch ein paar dringende Dinge zu erledigen.« Es knackte in der Leitung, dann war nur noch Rauschen zu hören.
»Was für ein Ritter?«, fragte Birgel.
»Das ist kein Ritter, sondern ein Irrer! Als Nöhrgel ihn damals herübergeholt hat, gab es einen kleinen Unfall und er ist aus Versehen durch das Tor unter dem Ufa-Palast nach hier gekommen. Da hat er sich in aller Ruhe den Film Easy Rider angesehen. Das hat sein Bild vom normalen Leben hier drüben irreparabel beeinflusst. Ich hoffe nur, dass er sich nicht noch immer für ’nen Hippierocker hält!«
11
Der Erlkönig hatte begriffen, dass er die Welt der Menschen nur verstehen würde, wenn er sich ihre Filme ansah. Er hatte sich einen Fernseher und einen Videorecorder besorgt und das Wochenende mit einem guten Dutzend Filmen vor der Mattscheibe verbracht. Ihm war nun klar, was Klingonen waren, unsicher hingegen war er sich, ob er verärgert sein oder es ihn nur amüsieren sollte, dass die Friseuse ihn für einen Vulkanier hielt. Die analytische Distanz dieser farblosen Weltraumlangohren hatte in der Tat etwas, mit dem er sich verbunden fühlte. Auf der anderen Seite waren sie einfach keine Krieger! Was sollte einen leiten, wenn man niemals Emotionen verspürte?
Der Erlkönig führte seinen Kreuzzug, weil er sich persönlich betroffen fühlte. Er hatte seine Gefährten einfach im Stich
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