Nebenan: Roman
Opfer.
»Ihren Namen und Ihre Dienststelle!«, schnarrte die Frau. Während sie die Personalien des immer noch völlig verdatterten Kofferträgers in ihrem Terminkalender notierte, beeilten sich die übrigen Wartenden in einen Aufzug einzusteigen und der peinlichen Situation zu entkommen.
Mit einem leisen Plong glitten erneut verchromte Aufzugtüren zurück. »Sie werden sich ja wohl nicht erdreisten mit mir in denselben Lift zu steigen, Sie armseliges, verklemmtes Würstchen.« Der Beamte wäre augenscheinlich am liebsten im Boden versunken. Mit einem Satz sprang der Erlkönig an ihm vorbei durch die sich bereits wieder schließenden Türen, um den Aufzug mit der Büroamazone noch zu erwischen.
Erfreulicherweise wollte auch sie in den zehnten Stock. Ihm gefiel die Frau, wenn auch auf eine andere Weise, als Cagliostro Gefallen an ihr gehabt hätte. Ihr Auftreten und ihre Art, mit Unterlegenen umzugehen, waren beeindruckend. Zugleich war es ihm eine Lehre, allzu überheblich über die farblosen Beamten in diesem riesigen Glaspalast zu denken. Sie wirkte gut durchtrainiert. Manche der modernen Menschen taten seltsame Dinge, um in Form zu bleiben, dachte der Erlkönig. Sie legten sich in eiserne Maschinen und leisteten stundenlang harte Arbeit, um anschließend noch dafür zu bezahlen, dass sie arbeiten durften. Er fragte sich, ob die Frau auch zu dieser Sorte von Verrückten gehörte.
Mit einem Ruck kam der Aufzug zum Stillstand. Die Türen glitten auf. Mit energischen Schritten eilte die Frau den Flur entlang und verschwand schließlich hinter einer grauen Tür. Unschlüssig blieb der Elbenfürst stehen und sah sich um. An den Wänden des Flurs hingen einige Bilder, doch er konnte nicht erkennen, was sie darstellen sollten. Auch hier gab es ein paar Pflanzen, die ein kümmerliches Dasein in großen, schwarzen Kübeln fristeten.
Neben den Zimmertüren hingen kleine Schilder mit aufgesteckten Buchstaben und Zahlen. Zögernd ging der Erlkönig weiter den Flur entlang. So wie es aussah, würde er den Minister hinter der Tür am Ende des Ganges finden. Der Elbenfürst nahm den Bogen von der Schulter und zog die Sehne auf. Diesen Tag würde das Land fressende Ungeheuer von einem Minister lange nicht vergessen.
Die Tür am Ende des Ganges flog auf und eine ganze Gruppe von Leuten trat auf den Flur. Der Erlkönig drückte sich gegen die Wand, um ihnen nicht im Weg zu stehen. Der Mann an der Spitze war ohne Zweifel Dr. Anton Mager, ein großer, hagerer Kerl mit einer Hakennase und aufmerksamen, grauen Augen. Eine tiefe, senkrechte Falte zerfurchte seine Stirn. Seine Wangen waren eingefallen. Er wirkte unnachgiebig und machtbewusst. Ein Gegner, gegen den zu kämpfen sich lohnte, dachte der Elbenfürst zufrieden.
Links neben dem Minister lief eine Blondine in einem rotem Kostüm und mit einer dick umrandeten Brille. Sie trug eine Schreibunterlage mit Papieren auf dem Arm und fingerte nervös an einem Stift herum. Auf der rechten Seite Magers ging ein untersetzter Mann, dem es sichtlich Mühe bereitete, im Eilschritt über lange Flure zu hasten. Er hatte eine Halbglatze und war im Vergleich zu den anderen auffallend leger gekleidet. Er war der Einzige, der Jeans und Turnschuhe trug. Direkt hinter dem Minister marschierte ein stämmiger, junger Mann in einem unauffälligen, dunklen Anzug. Er schien keine wichtige Position zu bekleiden.
»Sie sollten sich das wirklich persönlich ansehen. Es hat seinen Grund, dass Ihr werter Kollege aus Hessen nicht am Telefon mit Ihnen darüber reden wollte und lieber einen Experten geschickt hat«, erklärte der Turnschuhträger.
»Und warum können Sie nicht einfach kurz zusammenfassen, was er zu sagen hat? Sie wissen doch, dass ich mich vor Terminen kaum retten kann, Müller.«
Der Dicke schüttelte den Kopf. »Sie würden mir nicht glauben, Chef. Es ist wirklich besser, wenn Sie sich den Augenblick nehmen und sich anhören, was der Mann Ihnen mitteilen wird. Er wartet im kleinen Konferenzraum.«
»Fräulein Kleber, hab ich noch eine Viertelstunde?«
Die Blondine runzelte verärgert die Stirn und begann in ihren Papieren zu blättern. »Wenn Sie sich erlauben, zum Essen mit dem Vorsitzenden der Elektrizitätswerke ein wenig zu spät zu erscheinen, und Ihr Chauffeur dann ein bisschen Gas gibt, können wir die übrigen Termine noch halten.«
Mager war neben den Aufzügen stehen geblieben. Einen Moment verharrte er unschlüssig, dann nickte er. »Na schön, Müller. Ich hoffe, Ihr
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