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Nebenan: Roman

Nebenan: Roman

Titel: Nebenan: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Hennen
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Wunderknabe ist es wert. Fräulein Kleber, rufen Sie den Vorsitzenden an und richten Sie ihm aus, dass wir uns ein klein wenig verspäten werden.«
    »Jawohl, Chef.« Die Blondine holte ein winziges Handy aus ihrer Handtasche und der Tross setzte sich wieder in Bewegung.
    Neugierig, was als Nächstes geschehen würde, folgte der Erlkönig dem Minister und seinem Hofstaat. Den Bogen hielt er dabei noch immer in der Linken.
    Auf dem Gang hinter ihm schloss sich eine Tür. Jemand eilte auf Mager und sein Gefolge zu und streifte den Erlkönig um ein Haar. Die Frau aus dem Aufzug!
    »Ah, Nadine.« Es war das erste Mal, dass Mager lächelte. »Sie sind heute spät dran.«
    »’tschuldigung, Chef. Der Verkehr.«
    Mager ging nicht weiter auf sie ein, aber der große Kerl hinter ihm nickte Nadine freundlich zu und sie übernahm seinen Platz hinter dem Minister.
    Der Elbenfürst fragte sich, welche Aufgabe die junge Frau wohl im Stab des Ministers haben mochte. Etwas, das aussah wie ein dünner, weißer Wurm, hing aus ihrem Ohr und verschwand unter dem Kragen ihres Jacketts.
    Das Trüppchen um den Minister verschwand durch eine Doppeltür und der Erlkönig musste sich beeilen, mit ihnen Schritt zu halten, bevor die Tür geschlossen wurde. Der Raum war mit schweren Vorhängen abgedunkelt worden. Drei Reihen Neonröhren tauchten ihn in kaltes Kunstlicht. Es gab ein kleines Vortragspult und dahinter eine Leinwand. Gegenüber standen drei bequeme Ledersessel und mehrere Reihen von schlichten Stühlen aus dunklem Holz.
    Ein Mann von vielleicht Mitte dreißig stand an einem Diaprojektor und sortierte einen Stapel kleiner Notizblätter. Er trug Jeans, flache Lederschuhe und ein leicht zerknittertes Hemd. Seine Krawatte hing schief und offenbar hatte er nie gelernt, wie man einen vernünftigen Windsorknoten machte. Unter seinen Augen hatten sich tiefe, dunkle Ränder eingegraben. Er wirkte, als habe er in letzter Zeit nur sehr wenig Schlaf gehabt.
    »Herr Minister, darf ich Ihnen Doktor Frank Schütte vom AKW Bilbis vorstellen? Er war sozusagen Augenzeuge des besonderen Ereignisses.« Müller deutete in Richtung des Diaprojektors.
    Der Wissenschaftler machte eine linkische Verbeugung. Es war nicht zu übersehen, dass er sich nicht wohl in seiner Haut fühlte. Offenbar hatte er keine Übung im Umgang mit Ministern.
    »Nun, ich hoffe, Ihr Vortrag ist es wert, dass ich Ihnen einen Teil meiner Mittagspause opfere. Ich bin es nicht gewohnt, dass man so geheimnisvoll tut«, erklärte Mager kühl.
    »Ich werde Sie nicht mit langen Vorreden aufhalten«, entgegnete der Doktor und gab dem Mann im Anzug, der nahe der Tür stand, ein Zeichen. »Würden Sie bitte das Licht ausschalten. Ich werde Ihnen jetzt ein paar Bilder zeigen, die mehr als viele Worte sagen.«
    Mager, Müller und Fräulein Kleber ließen sich auf den großen Sesseln nieder, während sich Nadine schräg hinter den Minister stellte und den Doktor im Auge behielt. Die Neonreihen verloschen und ein blendender Lichtstrahl tastete nach der Leinwand. Mit leisem Klicken verschwand ein Dia im Projektor. Ein Bild, das einen mächtigen Baumstamm vor einer Betonwand zeigte, erschien.
    »Dies ist eine deutsche Eiche, die nach Schätzungen von Experten zwischen einhundert und einhundertundzwanzig Jahre alt ist«, erklang die müde Stimme Doktor Schüttes. Ein Bild mit weit ausladenden, belaubten Ästen folgte. »Der Baum ist völlig gesund. Diese Bilder sind vor zwei Tagen gemacht worden. Fällt Ihnen etwas auf, meine Damen und Herren?«
    »Mir fällt auf, dass ich meine Zeit vergeude«, knurrte Mager.
    Der Doktor räusperte sich leise. »Wir haben November. Dieser Baum steht in Bilbis. Normalerweise tragen Eichen um diese Jahreszeit höchstens noch ein paar welke Blätter.«
    »Vielleicht steht das Bäumchen ja zu nahe an Ihrem Reaktor?« Mager lachte. »Ist die Biologiestunde damit beendet?«
    Ein neues Bild erschien, das ebenfalls fast vollständig von dem Baum ausgefüllt wurde. Im Hintergrund sah man eine Stahltür, auf der das schwarzgelbe Radioaktiv-Symbol prangte. »Der Baum steht in der Tat sehr dicht beim Reaktor …« Ein Hauch von Zynismus schwang in der Stimme des Doktors mit. »Genauer gesagt, er steht in der Brennkammer von Block B in Bilbis.« Das nächste Bild zeigte den Baum aus der Vogelperspektive. Deutlich konnte man nun das Kühlwasserbecken und die Betonwände sehen.
    »Jetzt reicht mir der Unsinn!« Mager war aus seinem Sessel gesprungen. »Für Aprilscherze haben

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