Nebenan: Roman
Sehnsucht nach einem Farbtopf zu haben!
»Wie machst du das?«, fragte Gabi bewundernd. »Blau ist der reinste Killer. So friedlich ist er sonst nur, wenn Joe ihm etwas sagt.«
»Du weißt doch, ich bin Vulkanier«, entgegnete der Elbenfürst und trat auf den Hof hinter dem Tor. Ein großer Lastwagen, auf dessen Hänger ein Hai und ein Ziegenbock gemalt waren, stand auf dem Platz. Ein merkwürdiges Wappen, dachte der Erlkönig und sah sich aufmerksam um. Auf dem pockennarbigen Asphalt schillerten bunte Öllachen. Es gab zwei große Hallen. Aus einer flackerte unstetes Licht. Zwischen den Hallen stand ein vergammelter Wohnwagen mit einem Parabolschirm auf dem Dach. Irgendwo spielte leise Countrymusik.
Der Erlkönig umrundete den Lastwagen. Jetzt konnte er die Halle, aus der das Licht flackerte, besser sehen. Die ganze Vorderfront wurde von einem weiten, offenen Tor eingenommen. Ein kleiner, stiernackiger Mann stand über eine Werkbank gebeugt. Er hantierte mit einem Schweißgerät, das sternhelle Funken in die Dunkelheit stieben ließ. Neben ihm stapelten sich etliche zerdrückte Bierdosen.
»Joe?«, fragte der Erlkönig laut.
Der Mann am Schweißgerät zuckte zusammen. Er schob die dunkle Schutzmaske zurück und spähte blinzelnd durch das Tor.
»Ich bin es, Joe!«, rief Gabi. »Ich habe den Vulkanier mitgebracht, von dem ich dir erzählt habe.«
Joe stellte das Schweißgerät ab und sah missbilligend zu Blau, der eingeschüchtert neben dem Elbenfürsten kauerte.
»Was ist denn mit dir los, alter Knabe? Macht der Fremde dir Angst?« Der Hund trottete zu Joe und schubberte seine breite Schnauze am ölverschmierten Blaumann seines Herrchens.
»Blau ist ein seltsamer Name für einen Hund«, sagte der Erlkönig. Er war im Eingang zur Lagerhalle stehen geblieben und musterte Joes Refugium. Alles wirkte schmuddelig und alt. Nur die Werkzeuge waren gepflegt.
»Mein Hund ist nicht halb so seltsam wie Typen, die sich als Vulkanier ausgeben.« Joe blinzelte. »Du hast tatsächlich spitze Ohren! Ich nehme an, Gabi hätte gemerkt, wenn sie falsch wären. Mit Ohren kennt sie sich aus. Hast schon in genug hineingeschnitten, nicht wahr?«
Die Friseuse zog einen Schmollmund.
»Komm, Blau, ich hab was Feines für dich.«
Der Hund spitzte die Ohren und folgte aufgeregt Joe, der zu einer Werkbank an der Rückwand der Halle ging. Der hintere Teil des großen Arbeitsraums war mit einer Plane in Tarnmustern abgetrennt.
Joe nahm einen Farbtopf, stemmte den Deckel mit einem Schraubenzieher auf und stellte den Topf dann auf den Boden. Der Hund stieß ein freudiges Kläffen aus und hockte sich schnuppernd neben die Dose. Sein Herrchen ging zu einem Kühlschrank und holte drei Dosen Kölsch heraus. Mit lässiger Geste warf er dem Erlkönig eine der Dosen zu. Gabi drückte er ihre Dose lieber in die Hand. »Mit trockener Kehle redet es sich schlecht über Geschäfte.«
»Warum glaubst du, dass wir über Geschäfte reden sollten?«, fragte der Elbenfürst.
»Weil ein Typ wie du nicht mitten in der Nacht hierher kommen würde, nur um mir und Blau ein bisschen Gesellschaft zu leisten. Gabi hat mir von dir erzählt. Du bist so etwas wie ein Kreuzritter. Hast eine Mission, nicht wahr? Kommst du wirklich von einem anderen Planeten?«
»Aus einer anderen Welt, würde ich eher sagen.«
Joe nickte. »Wenn man von hier aus nach Westen fährt, dann hat man das Gefühl, jede Welt ist besser.«
»Warum?«
»Zu viele Freaks! Es gibt Typen, die kommen nachts zum Dynamitfischen zu den Baggerlöchern!« Die Bierdose knirschte in Joes Faust. »Weißt du, ich bin Trucker. Ich halte viel von Freiheit, aber manche Dinge … Die Leute haben heute keinen Sportsgeist mehr. Ich hab nichts dagegen, wenn einer hundert Fische mit der Angel aus dem See zieht, aber Dynamit, das ist einfach nicht fair! Und dann die Sache mit den Riesenlöchern. Scheißbraunkohle! Sie ist der Fluch dieser Gegend! Hast du mal eines der Löcher gesehen, die sie hinter Köln in die Erde gerissen haben? Dreihundert Meter tief und ein paar Kilometer lang. Und die ganzen Kraftwerke! Wie ein Belagerungsring liegen sie um Köln. Ich wette, es regnet hier so oft, weil sie ganze Wolken aus verdampftem Kühlwasser in den Himmel pusten. Dutzende Dörfer mussten verschwinden, weil man an die Braunkohle wollte. Weißt du, was sie mit Alten machen, die nicht gehen wollen? Die Polizei kommt, um sie aus den Häusern zu zerren, in denen sie ihr Leben gelebt haben!« Joe zerknüllte die
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