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Nebenweit (German Edition)

Nebenweit (German Edition)

Titel: Nebenweit (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz Zwack
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verbringen wird. Aber das kann ich dir ja alles erzählen, wenn ich wieder zu Hause bin.«
    »Meinst du, wir müssen uns auch damit abfinden?« Das klang verängstigt, fast resigniert.
    »Ich weiß es wirklich nicht, Carol, und im Augenblick weiß ich auch nicht, was ich weiter unternehmen soll. Vielleicht später, wenn sich alles etwas gelegt hat …«
    »Hm.«
    »Hör zu, ich werde mich jetzt schlafen legen, dann sehe ich morgen früh nach, wann ich einen Flug bekomme, und dann rufe ich wieder an.«
    »Ja, ich freue mich schon, wenn du wieder da bist. Und dann dieser Dupont … nach allem, was passiert ist, weiß man ja nicht, ob der nicht hier ums Haus streicht oder seine Leute darauf angesetzt hat.«
    »Mach dir keine Sorgen, er weiß ganz genau, dass wir uns abgesichert haben. Du brauchst keine Angst zu haben.«
    Woher wusste ich das eigentlich?
    »Gute Nacht.«
    »Gute Nacht.«
    Dann war alles wie im Flug abgelaufen.
    Ich war wieder eingeschlafen, hatte den Wecker – wieder dieses Vogelgezwitscher – auf sieben Uhr gestellt, dann den Zug nach Tokio genommen und mich vom Bahnhof mit dem Taxi direkt zum Flughafen bringen lassen, wo ich auch problemlos einen Platz in der Maschine nach München bekommen hatte.
    In der saß ich jetzt und blickte auf das Häusermeer Tokios hinab, das allmählich unter mir verschwamm. Gut zehn Stunden später, am frühen Abend, würde ich in Deutschland eintreffen, und Carol würde mich am Flughafen abholen. Ich hatte versucht, ihr die mühsame Fahrt und den großen Zeitaufwand auszureden, davon hatte sie jedoch nichts wissen wollen.
    »Ich habe dich vermisst«, hatte sie gesagt, als ich sie vom Flughafen Haneda aus kurz vor dem Einchecken angerufen und ihr meine Flugdaten mitgeteilt hatte. »Hier oben ist es ohne dich sehr einsam«, hatte sie hinzugefügt, und mir war dabei ganz warm ums Herz geworden.
    Ich ertappte mich dabei, dass ich anfing, wie Tanabe zu denken und diese neue Welt meiner alten vorzuziehen. Dann schämte ich mich ein wenig meiner Gedanken, weil ich das Gefühl hatte, damit zugleich alle, die mir nahestanden, zu verleugnen.
    Ich hatte schon immer die Gabe besessen, auf längeren Flügen gründlich und tief zu schlafen, und so verging mir die Reise über die endlosen Weiten Sibiriens und Russlands – in dieser Welt zwei separaten Staaten – im wahrsten Sinne des Wortes wie im Flug. Ich wachte erst auf, als der Kapitän im Lautsprecher ankündigte, dass er in Kürze den Landeanflug auf den König-Ludwig-II.-Flughafen von München beginnen werde. Ich wischte mir mit dem von der Flugbegleiterin gereichten Tuch die vom Schlaf verklebten Augen, nahm dankbar ein Glas Orangensaft entgegen und blickte auf das altvertraute Muster aus grünen und bereits abgeernteten braunen Feldern hinab, die das Flughafengelände säumten.
    Es war ein herrlicher Föhntag und man konnte im Hintergrund die Alpenkette in ihrer ganzen Majestät erkennen. Wir würden um 17 Uhr landen, und da ich nur mit Handgepäck gereist war, konnte ich damit rechnen, um halb sechs im Auto und drei Stunden später auf der heimischen Terrasse zu sitzen. Ein frisches Bier und eine bayrische Brotzeit – was gab es Schöneres auf der Welt? Das Leben war schön …
    ***
     
    Ich entdeckte Carol hinter der Glasscheibe am Ausgang. Sie trug enge Jeans, hohe Absätze und einen legeren, pinkfarbenen Pullover. Das Haar hatte sie sich zu einem kleinen Pferdeschwanz gebunden, sie sah aus der Entfernung aus wie ein Teenager. Ob es das Wort hier auch gab?
    Als sie mich entdeckte, strahlte sie und eilte mir entgegen. Ich ließ meine Reisetasche fallen und nahm sie in die Arme, drückte sie an mich. Als ich sie auf die Wange küssen wollte, drehte sie den Kopf etwas zur Seite, sodass unsere Lippen sich begegneten. Es wurde ein richtiger Kuss, und ich spürte, wie ihre Zunge die meine suchte. So standen wir einen Augenblick da wie ein Liebespaar, bis sie sich von mir löste. »Ich freue mich so, dass du wieder bei mir bist«, hauchte sie außer Atem und drückte mich erneut an sich. »Das waren vier lange Tage. Zu lange.«
    »Ich freue mich auch, dass ich wieder da bin. Die Frisur steht dir gut.«
    »Ja, gefällt sie dir?«, fragte sie, beinahe kokett.
    »Du siehst hinreißend aus, wie ein Teenager. Sagt man eigentlich Teenager?«
    »Das ist stark übertrieben, und das weißt du auch. Schließlich habe ich zwei erwachsene Kinder, die selbst schon über das Teenageralter hinaus sind. Aber davon abgesehen – warum sollte

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