Nebenweit (German Edition)
plötzlich bei einem Spaziergang im Hakone-Park in diese Welt versetzt worden, nur mit dem, was er auf dem Leibe trug, genau wie ich. Der Unterschied ist nur, dass er kein Pendant in dieser Welt hat oder hatte und deshalb zunächst ganz auf sich allein gestellt war. Ich hatte ja dich«, warf ich ein, sah dabei kurz zu Carol hinüber und tätschelte ihre Hand.
Sie griff mit der Rechten danach und hielt sie kurz fest, bis ich sie ihr wieder entzog und ans Steuer legte.
»Jedenfalls hat er in seinem neuen Leben Fuß gefasst und denkt auch daran zu heiraten. In seinem vergangenen Leben war er offenbar ein ziemlicher Einzelgänger, und Familie hatte er auch nicht.«
»Dann zieht es ihn also nicht in seine gewohnte Umgebung zurück?«, wollte Carol wissen.
Ich sah zu ihr hinüber und merkte, wie es in ihr arbeitete. Ich konnte mir gut vorstellen, was jetzt in ihr vorging. Über Stunden hinweg mochte ihr meine Anwesenheit ganz normal erscheinen, so als würde ihr ›eigener‹ Mann neben ihr sitzen, aber der geringste Hinweis auf die andere Welt, aus der ich kam, musste sie wie ein Messerstich durchzucken.
»Nein, das hat er mir ausdrücklich bestätigt. Nicht dass er eine Möglichkeit dazu hätte, das hat er in den drei Jahren erkannt. Vermutlich hat er sich auch gar nicht sehr bemüht, er war ja zunächst viel zu sehr damit beschäftigt, sich eine auch für die Behörden akzeptable Existenz aufzubauen. In einer Militärdiktatur, für die ich Japan nach wie vor halte, ist das gar nicht so harmlos.«
»Spürt man die denn im Alltag?«
»Wenn man ein Auge dafür hat, schon. Aber nicht so schlimm, dass ich mich irgendwie unwohl gefühlt hätte. Doch in der kurzen Zeit, die ich in Tokio war, ist mir doch einiges aufgefallen, was anders war. Zum Beispiel der Flughafen – ich bin in Haneda gelandet, Narita gibt es gar nicht. Und die Monorail von Haneda in die Innenstadt gibt es auch nicht. Die hatte man zu den Olympischen Spielen gebaut – aber vermutlich haben die hier ja 1964 nicht in Tokio, sondern anderswo stattgefunden.«
»Nein, die waren in Indien«, unterbrach mich Carol. »Ich war damals ja noch ein kleines Kind, aber ich erinnere mich, dass meine Eltern sich damals einen Fernseher gekauft haben, um sich die Spiele anzusehen. Das war in unserer Straße eine ziemliche Sensation. Ein Riesenkasten war das, und man musste auch immer aufstehen, wenn man den Kanal wechseln wollte. Fernbedienungen gab es damals noch nicht. Und die ganze Nachbarschaft war ständig zu Besuch.«
Ich musste lächeln. Ich war damals acht gewesen, und meine Eltern hatten sich für die Olympischen Spiele in Tokio auch einen Fernseher gekauft, allerdings war das schon ein Farbgerät gewesen, und Fernbedienungen hatte es auch schon gegeben. Darauf ging ich aber jetzt nicht ein, sondern setzte meinen Bericht über meine Japanreise fort.
»Interessant war, was Tanabe mir über die Situation im Nahen Osten erzählt hat. Du machst dir ja keine Vorstellung, wie der in unserer Welt das Geschehen beeinflusst. Seit es einen Staat Israel gibt – der wurde bei uns 1949 gegründet –, herrscht in dieser Region praktisch ständig Krieg, und die Auswirkungen reichen weit über das eigentliche Krisengebiet hinaus. Ich könnte dir von Terroranschlägen berichten, dass dir die Augen übergehen, aber das lasse ich lieber bleiben.«
»Ja, tu das, Bernd«, stimmte Carol mir zu. »Ich möchte heute nichts Unangenehmes hören, dazu ist das ein viel zu schöner Tag.« Sie strahlte mich an, und ich spürte, wie mir warm ums Herz wurde.
Wir hatten inzwischen bereits die Ortseinfahrt von Unterwössen passiert und rollten auf dem Forstweg unserem Haus entgegen. Wo einmal der Werkzeugschuppen gestanden hatte, an dem sich mein Leben so nachhaltig verändert hatte, lagen nur noch verkohlte, von gelbem Polizeiband eingegrenzte Balkenreste herum.
Kurz darauf rollten wir in unsere Einfahrt, das Garagentor öffnete sich auf meinen Knopfdruck hin und ich brachte den Wagen zum Stehen. Während ich ihn brav ans Stromkabel anschloss, wie ich das gelernt hatte, und meine Reisetasche herausholte, hatte Carol die Tür ins Haus geöffnet, worauf Charlie herausgeschossen kam und mich freudig kläffend ansprang. Den Kleinen hatte ich auch vermisst und sagte ihm das auch, worauf ich ihn daran hindern musste, mir übers Gesicht zu lecken. Carol war weitblickend ins Haus geeilt und steckte mir jetzt einen Hundekuchen zu, mit dem ich mich für die freundliche Begrüßung
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