Nebenweit (German Edition)
wo auch eine Reihe grellgelb lackierter Taxis auf Fahrgäste wartete.
»Herr Tanabe, ich bin Ihnen zutiefst zu Dank verpflichtet, dass Sie mir so viel von Ihrer Zeit gewidmet und mir Rede und Antwort gestanden haben«, versicherte ich ihm und verneigte mich nach japanischer Sitte vor ihm, worauf er mir nach westlicher Sitte die Hand gab.
»War mir eine Freude. Ich kann nur hoffen, dass Ihnen mein bescheidener Bericht über meine Erlebnisse geholfen hat. Scheuen Sie sich nicht, mich anzurufen oder mir eine E-Post zu schicken, wenn Sie glauben, dass ich Ihnen in irgendeiner Weise behilflich sein kann. Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Aufenthalt und eine gute Heimreise.« Er verbeugte sich erneut und ging auf ein Taxi zu.
Ich winkte ihm nach.
Dann nahm ich unter dem Schindeldach Platz und wartete auf meinen Hotelbus.
26
Ich saß in der Lufthansa-Maschine nach München und ließ den vergangenen Tag noch einmal an mir vorbeiziehen. Gestern Abend war ich müde vom Wandern und noch ein wenig unter dem Einfluss des Jetlags ins Hotel zurückgekehrt. Ich hatte Tanabes Rat befolgt und ein Bad nach japanischer Sitte genommen – also mich zuerst vor einem großen hölzernen Zuber gründlich gereinigt und anschließend die Wanne mit warmem Wasser bestiegen, in der ich etwa eine Viertelstunde lang meinen Gedanken nachgehangen hatte. Anschließend hatte ich mich einer blinden Masseurin anvertraut, die mich vom Kopf bis Fuß durchgeknetet hatte, bis wirklich sämtliche Spannungsknoten aus meinem Körper verschwunden waren. Das hatte gutgetan – auch wenn ich jetzt noch das Gefühl hatte, jeden einzelnen ihrer Finger zu spüren.
Dann hatte ich mich, meine Blöße notdürftig mit einem Lappen bedeckend, ins heiße Gemeinschaftsbad begeben und mich inmitten von vielleicht zwanzig Japanern beiderlei Geschlechts entspannt. Dabei hatte sich ein wohliges Gefühl eingestellt, das mich zu dem Entschluss veranlasst hatte, auf das Abendessen zu verzichten und mich gleich aufs Zimmer zu begeben. Da ich den Gang in den Badebereich bereits in meinem Hotel-Yukata angetreten hatte, konnte ich mich so, wie ich war, ins Bett fallen lassen und musste wohl unverzüglich eingeschlafen sein.
Als ich aufwachte, brauchte ich ein paar Augenblicke, bis mir bewusst war, dass ich mich in einem Hotel auf der anderen Seite der Welt befand. Ein Blick auf die Uhr am Nachttisch verriet mir, dass es kurz vor Mitternacht war, also wohl neun oder zehn Uhr vormittags in Deutschland.
Ich griff nach dem Telefon am Nachttisch und wählte meine Nummer in Unterwössen. Zu meiner Freude meldete Carol sich bereits beim zweiten Klingeln. Ich spürte, dass sie sich wirklich über meinen Anruf freute.
»Schön, dass du anrufst, wie geht es dir?«, begann sie, ließ mich dann aber gar nicht zu Wort kommen, sondern fügte hinzu: »Gestern hatte ich Besuch. Dupont war hier und wollte wissen, wo du bist. Er wirkte ziemlich aufgeregt.«
»Dupont? Was geht das den denn an?«, erregte ich mich und war plötzlich hellwach. »Du hast es ihm doch nicht gesagt, oder?«
»Nein, natürlich nicht, aber er meinte, es sei wichtig. Mir ist der Mann unheimlich. Er war sehr höflich – Handkuss und so –, aber ich traue ihm einfach nicht über den Weg. Ich habe ihn auch nicht ins Haus gelassen, obwohl die Höflichkeit das wahrscheinlich verlangt hätte. Er war mit einem großen Audi hier, der sah ganz neu aus, und außer ihm saß niemand im Wagen, darauf habe ich geachtet.«
»Sehr gut«, lobte ich, fand dann aber, dass das recht herablassend klang, und fuhr fort: »Hat er nicht gesagt, was er will?«
»Nein, nur dass er dich dringend sprechen muss und dass du ihn anrufen sollst, sobald du wieder da bist. Ich habe ihm aber nicht gesagt, wann du zurückkommst. Was ich ja auch gar nicht weiß«, fügte sie hinzu.
»Ich werde morgen Abend hier abfliegen und bin dann übermorgen früh zu Hause«, erklärte ich. »Im Augenblick liege ich in einem Hotel in Hakone im Bett und spüre jeden Knochen im Leib. Ich habe mich nämlich massieren lassen. Heute Nachmittag – hier ist es übrigens jetzt kurz vor Mitternacht – habe ich mit Herrn Tanabe einen langen Spaziergang gemacht, und da schien mir eine Massage statt Abendessen gerade richtig.«
»Und hast du von Tanabe Interessantes erfahren?«
»Ja, schon, aber nichts, was uns irgendwie weiterhilft. Er lebt seit drei Jahren in dieser Welt und hat sich damit abgefunden, dass er den Rest seines Lebens hier
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