Nebenweit (German Edition)
mir eine Scheibe Brot, bestrich sie mit Butter und belegte sie mit Schinken. Plötzlich merkte ich, dass ich einen Bärenhunger hatte. Ich hatte in Duponts Büro nur ein paar Schnittchen zu mir genommen, und jetzt forderte mein Magen sein Recht. Während ich aß, beobachtete ich Carol, in der es sichtlich arbeitete.
»Äußerst vorsichtig sein?«, wiederholte sie schließlich. »Wie stellst du dir das vor? Befinden wir uns in einer Art Belagerungszustand? Sollen wir die Polizei verständigen? Ihr vielleicht sagen, dass wir von religiösen Fanatikern aus einer anderen Zeitebene bedroht werden? Die würden uns doch in ein – wie sagt man da auf Deutsch? – asylum stecken.«
»Klapsmühle«, erklärte ich und musste lachen. Es kam höchst selten vor, dass Carol nach einem deutschen Ausdruck suchen musste. »Ja, das würden sie vermutlich, und deswegen kommt die Polizei nicht infrage. Nein, wir sind ganz auf uns gestellt und können allenfalls darauf bauen, dass Dupont uns hilft. Das will ich ebenfalls mit ihm besprechen, wenn er wieder zurück ist. Er wird nämlich noch heute, spätestens morgen seiner Regierung in der Anderwelt Bericht erstatten und sich dort vermutlich Instruktionen holen. Übermorgen sollte er wieder zurück sein. Bis dahin lassen wir keinen Fremden ins Haus und sollten auch abends alle Türen und Läden verriegeln. Außerdem werde ich nachts meine Pistole auf den Nachttisch legen.«
»Man merkt wirklich, dass du eine Weile in Amerika gelebt hast«, feixte Carol und ließ damit erkennen, dass man ihr nicht so leicht den Schneid abkaufen konnte. »Aber vielleicht sollten wir doch auch die Polizei verständigen …«
Sie sprach nicht weiter, weil ihr vermutlich im selben Augenblick klar geworden war, dass dies keine Lösung war.
»Ganz sicher nicht«, bestätigte ich ihre Zweifel. »Du hast doch selbst gesagt, dass das nicht infrage kommt. Nein, wir müssen uns darüber klar werden, ob wir die Sache ganz allein durchstehen oder uns auf Dupont stützen wollen. Eine andere Wahl haben wir nicht. Für heute Nacht und morgen gilt also sozusagen Alarmstufe eins, und übermorgen, wenn Dupont aus Luteta zurück ist, muss ich ein ernstes Wort mit ihm sprechen.«
Ich nahm schweigend ein paar Bissen zu mir, trank einen Schluck Wein und blickte wieder auf. »Ich bin ziemlich müde«, erklärte ich dann. »Ich war ja fast den ganzen Tag zuerst mit Mortimer, danach mit Dupont zusammen, und wir haben ständig geredet …«
Ich verstummte, weil dies wahrscheinlich der Augenblick gewesen wäre, um Carol zu sagen, dass Bernhard, mein Pendant also, verschwunden und nicht etwa in ›meine‹ Welt versetzt worden war. Aber irgendetwas hielt mich davon ab, vermutlich das Wissen, dass sich daraus eine höchst emotionale Diskussion entwickeln würde, für die ich im Augenblick einfach zu müde und zu feige war.
»Ich habe zwar keine tiefschürfenden Gespräche geführt, aber müde bin ich auch – in meinem Fall von der Gartenarbeit. Ich habe die Gartenmöbel verstaut und auch sonst all die Sachen weggeräumt, die du liegen gelassen hast. Der Wetterbericht hat für heute Nacht Schnee vorhergesagt, und darauf wollte ich es nicht ankommen lassen. Dann sollten wir uns wohl am besten schlafen legen. Es ist ja auch schon zehn.«
***
Ich stand in einer Art Burghof, umgeben von wuchtigen Steinmauern, die aber nicht etwa nach historischem Gemäuer aussahen, sondern den Eindruck machten, als seien sie erst vor ein paar Jahren zusammengefügt worden. Auch die schweren Limousinen vor dem Eingangsportal wirkten ganz vertraut, und als ich den Stander auf dem rechten Kotflügel einer der Limousinen genauer musterte, durchzuckte es mich eisig. Das war die Fahne, von der mir mein Vater so oft erzählt hatte. Die Fahne, für die er als junger Soldat an der Ostfront gekämpft hatte, in einem Krieg, den ich nur mehr vom Hörensagen gekannt, dessen Narben ich aber als Heranwachsender noch erlebt hatte, bis dann das ›Wirtschaftswunder‹ meine Welt verändert und meinen Eltern bescheidenen Wohlstand beschert hatte. Eine Hakenkreuzfahne!
Jetzt sah ich, dass der Fahrer im Wagen saß und eine Zigarette rauchte, deren Rauch sich aus der halb heruntergekurbelten Seitenscheibe in die kalte Nachtluft kräuselte. Der Motor der Limousine lief, ich konnte das gleichmäßige Summen der schweren Maschine deutlich hören. Der Fahrer hatte sicherlich die Heizung eingeschaltet und wartete vermutlich auf seinen Vorgesetzten. Ich duckte mich
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