Nebenweit (German Edition)
erklären, die ich ja selbst nicht begriff? Ihm Hoffnung auf eine Rückkehr in seine Welt machen, eine Hoffnung, die bei mir selbst nur an einem ganz dünnen Faden hing? Ihm klarmachen, dass er seine letzten Tage, Wochen oder Monate in dieser Welt verbringen würde, umsorgt und gepflegt, aber ohne Hoffnung, die Seinen vor dem sicheren Tod noch einmal zu sehen?
Ich stand auf, ging an den Barwagen, den Carol mir zum Einstand ins neue Haus und mein persönliches Refugium geschenkt hatte, und goss zwei Fingerbreit Glenlivet in ein Glas, nippte daran und ließ mich wieder am Schreibtisch nieder.
»Fernsehen«, sagte ich dann, um mich abzulenken, und sah zu, wie sich das Bild vor mir aufbaute. Im rechten oberen Eck des Hologramms sah ich das mir inzwischen vertraute Logo des Bayrischen Fernsehens, die Buchstaben BF über einem weiß-blauen Rautensymbol. Weltraumnacht. Ich staunte wieder einmal, wie sehr sich selbst die Programme in den beiden Welten glichen. ›Space Night‹ nannte sich das in meiner Welt. Ein stilisiertes Bild des Sonnensystems zwischen Venus und Saturn hing da vor schwarzem Hintergrund, die Planeten waren deutlich zu erkennen, der Jupiter an seinen ockerfarbenen Streifen und dem roten Fleck, der Saturn an seinen Ringen. Die Planetenbahnen waren auf dem Bild zu erkennen; vom Erdorbit führte eine rot eingezeichnete Ellipsenbahn zunächst zum Mars, umkreiste diesen und zog dann weiter zur anderen Seite der Sonne, zum Jupiter.
»… jetzt seit zwei Jahren unterwegs. Mars wurde als Zwischenstation eingelegt, um durch das Eintauchen ins Schwerefeld des Planeten zusätzlichen Schwung aufzunehmen und damit die Arbeit des Ionentriebwerks ein wenig zu unterstützen«.
Das Bild des Kommentators erschien im rechten unteren Bereich, ein Mann um die fünfzig im blauen Hemd mit dem blau-goldenen EURA-Symbol, der Karte Europas mit ein paar Sternen und einem stilisierten Raumschiff. Philippe Leclerc hieß er, und mir wurde jetzt bewusst, dass er mit leicht französischem Akzent sprach.
»Wir bemühen uns gerade um eine Laserverbindung mit dem Raumschiff und hoffen, Ihnen in Kürze die ersten Livebilder aus dem Jupiterorbit zeigen zu können. Ich muss mich korrigieren, Livebilder haben natürlich bereits vor über vierzig Jahren die ersten unbemannten Sonden zur Erde übertragen, aber Sie werden sicherlich mit mir einer Meinung sein, dass Bilder aus dem ersten bemannten Raumschiff, das den Jupiter besucht, von ganz anderer Faszination sind. Ich will – jetzt habe ich ein Signal, Kapitän Dumas, ich hoffe, Sie können mich ebenso gut hören und sehen, wie wir Sie.«
Das Bild eines drahtig wirkenden, bärtigen Mannes im T-Shirt ersetzte die Darstellung der Planetenbahnen, jetzt weitete das Bild sich aus, zeigte eine Umgebung, die mich an das Cockpit eines Passagierjumbos erinnerte, mit einem großen Fenster – oder war es ein Bildschirm? –, das der schwarze Samtteppich des Weltraums füllte.
»Wie ich Ihnen ja schon erklärt habe, müssten wir, wenn diese Sendung nicht bereits gestern Abend aufgezeichnet worden wäre, nicht ganz zwei Stunden auf Antwort warten, so lange braucht unser Signal ebenso wie das Licht, bis es die Strecke zum Raumschiff und wieder zurück bewältigt hat. Was Kapitän Dumas uns jetzt sagen wird, hat also eine Reise von nicht ganz einer Milliarde Kilometer hinter sich, da Jupiter sich derzeit am erdfernsten Punkt seiner Bahn um die Sonne befindet. Seine Worte sind also wie gesagt schon zwei Stunden unterwegs. Ich übergebe jetzt an Kapitän Dumas.«
»Hallo, liebe Zuschauer auf der Erde«, meldete sich jetzt Dumas mit sonorer Stimme und ebenfalls leichtem französischen Akzent. »Wenn M. Leclerc mich richtig informiert hat, ist es in Mitteleuropa jetzt früher Morgen, besser gesagt, wird es früher Morgen sein, wenn dieses Signal Sie erreicht, und ich freue mich sehr, Ihnen aus unserer kleinen Welt aus Carbon und Titan berichten zu dürfen, die jetzt seit knapp zwei Jahren unser Zuhause ist. Wie regelmäßige Zuschauer dieser Sendung ja wissen, sind wir vor einer Woche ins Schwerefeld des Jupiters eingetreten und freuen uns alle sehr, endlich wieder einen größeren Himmelskörper um uns zu haben. Immer nur den leeren Weltraum vor dem Fenster zu haben, wird mit der Zeit doch etwas langweilig. Nicht dass wir wirklich unter Langeweile leiden würden, acht Stunden Fitnesstraining und dazwischen eine Fülle von wissenschaftlichen Experimenten halten einen ganz schön auf Trab. Wir werden
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