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Nebenweit (German Edition)

Nebenweit (German Edition)

Titel: Nebenweit (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz Zwack
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zu haben, fuhren wir nach Hause und aßen zu Mittag. Carol war einsilbig, und auch mir war nicht nach Reden zumute. Unsere Situation war ja schließlich ungewöhnlich genug, und ich wusste nicht so recht, wie das weitergehen sollte. Ob es überhaupt ein Zurück in meine normale Welt geben würde, war höchst unklar – andererseits würde es auch nicht einfach sein, mich in dieser hier zurechtzufinden. Das war nicht nur eine Frage der Orientierung in Umwelt und Geschichte, sondern vielmehr eine der persönlichen Beziehung. Die Frau, die mir hier gegenübersaß und mir wie selbstverständlich Tee eingegossen hatte, wie ich das mittags gewohnt war, war mir zwar mit jedem Gesichtszug, jeder Falte im Augenwinkel und jeder Haarsträhne vertraut, aber wie sah es in ihr aus, was hatte sie mit mir erlebt, was empfand sie für mich – und was mochte sie jetzt denken? Und wie sehr mochte sie ›ihren‹ Bernhard vermissen?
    Keiner von uns beiden brachte es über sich, solche Fragen und Empfindungen in Worte zu kleiden.
    Ich hielt dieses von banaler Unterhaltung – »Nimmst du noch ein Stück Schinken?« – getragene Schweigen nicht mehr aus und erklärte, müde zu sein. Nach all den Laufereien am Vormittag war das nicht einmal gelogen, und ich zog mich ins gemeinsame Schlafzimmer zurück. Erst jetzt wurde mir bewusst, dass ich die vergangene Nacht allein in diesem Zimmer zugebracht hatte, Carol hatte also vermutlich auf der Couch in ihrem Zimmer geschlafen. Und während ich noch grübelte, überkam mich der Schlaf, tiefer, traumloser und erquickender Schlaf, als wäre alles normal.
    ***
     
    Ich muss wirklich erschöpft gewesen sein, denn als ich aufwachte, war es halb sieben. Es regnete, das Geräusch der aufs Fensterbrett trommelnden Regentropfen hatte mich geweckt, und ich stand auf und schloss das Fenster.
        Als ich nach unten kam, saß Carol am Küchentisch. Ich sah ihr an, dass sie geweint hatte. Sie blickte auf. »Ich fliege morgen zu meiner Schwester nach Savannah, das ist, glaube ich, für uns beide jetzt das Beste«, erklärte sie mit brüchiger Stimme.
    Ich sah sie fragend an. »Und was willst du dort machen?«
    »Zu mir finden, nachdenken, überlegen, ein wenig Abstand gewinnen. Du darfst mir das nicht übel nehmen, das hat nichts mit dir zu tun – Unsinn, natürlich hat es das, aber ich habe einfach Angst.«
    »Angst, wovor? Vor mir? Ich weiß natürlich, ich bin dir fremd, und du mir natürlich auch – aber …«
    Ich wusste nicht weiter.
    »Versteh doch, ich komme mit diesem ganzen Schlamassel einfach nicht klar. Da tauchst du hier auf, siehst aufs Haar so aus wie Bernhard und bist es doch nicht. Und ich habe keine Ahnung, was aus ihm geworden ist – ob er dasselbe durchmacht wie du und ich, irgendwo dort ›drüben‹, wie du es mir erklärt hast, bei ›deiner‹ Carol, die wahrscheinlich genauso fertig ist wie ich … oder ob er gar tot ist. Nein, ich denke, eine vertraute Umgebung unter Menschen, die ich wirklich kenne, wird mir guttun. Vielleicht ist es für dich auch ganz gut, wenn du allein versuchst, dich hier zu orientieren. Was du dazu formal brauchst, haben wir ja heute Vormittag erledigt und« – jetzt lächelte sie – »wie man mit Mobi und Fernseher umgeht, habe ich dir ja gezeigt.«
    Ich musste auch lachen. Wahrscheinlich hatte sie recht. Das Zusammensein mit ihrer Schwester Cynthia, einer echten Südstaatlerin, die mit beiden Beinen fest im Leben stand und ihren Greg und die beiden Kinder ebenso im Griff hatte wie ihr Leben als Lehrerin an der Georgia State High School von Savannah, würde Carol guttun. Währenddessen würde ich mich ein paar Tage mit Büchern, dem Fernsehen und dem Internet beschäftigen, bis ich wusste, wie diese Welt tickte. ›Weltnetz‹ nannte sich das Internet übrigens hier, funktionierte aber genauso, wie ich es in Erinnerung hatte. Wieder einmal ein Beweis dafür, wie parallel doch die meisten Dinge gelaufen waren, auch wenn die Bezeichnungen dafür sich unterschieden.
    In dieser vermaledeiten Forsthütte würde ich mich auch gründlich umsehen. Vielleicht fand ich dort doch einen Hinweis darauf, was eigentlich passiert war, oder entdeckte Spuren dieser seltsamen Männer aus meinem Traum. Der war zu realistisch gewesen, als dass ich ihn einfach als Hirngespinst abtun wollte. »Vielleicht hast du recht«, nickte ich. »Ich werde schon zurechtkommen, schließlich hast du mir – nein, hat ›meine Carol‹ mir ja auch ein wenig Kochen beigebracht, sodass ich

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