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Nebenweit (German Edition)

Nebenweit (German Edition)

Titel: Nebenweit (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz Zwack
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ich an und wunderte mich, wie glatt mir der ungewohnte Ausdruck über die Lippen kam. Aber so erging es mir mittlerweile mit vielen Dingen. Das Mobi am Handgelenk war mir inzwischen so vertraut, als hätte ich mein Leben lang kein anderes Telefon benutzt. Zu Anfang hatte ich mich immer bemüht, das einer Armbanduhr gleichende Ding mit angewinkeltem Arm wie ein Mikrofon vor den Mund zu halten, bis Carol mir erklärt hatte, dass das nicht nur albern aussah, sondern auch völlig überflüssig war. Weshalb das so war, hatte sie mir nicht erklären können, aber bei SUUCH – auch so ein Begriff, an den ich mich erst hatte gewöhnen müssen – hatte ich dann die naheliegende Erklärung gefunden: Der Ton wurde über den Körper, genauer gesagt, über das Knochengerüst übertragen, und die winzigen Lautsprecher am Gehäuse lieferten hinreichende Tonqualität und Stärke. Für die Umgebung war das natürlich lästig, und deshalb war es ein Gebot der Höflichkeit, sich bei Gesprächen in der Öffentlichkeit einen kleinen Knopf, der sonst am Gehäuse des Mobi haftete, ins Ohr zu stecken. Dass es Zeitgenossen gab, die diesen kleinen Akt der Höflichkeit für überflüssig und ihre Ergüsse für allgemein interessant hielten, war ein Indiz dafür, dass die Gemeinsamkeiten zwischen den Welten doch recht groß waren.
    Carols Vorschlag kam genau zur rechten Zeit, nicht nur wegen der Distanz zu unliebsamen Besuchern aus der Anderwelt, sondern einfach auch, weil uns beiden ein Tapetenwechsel guttun würde. Ich würde nicht wie angekündigt erst am Abend im Weltnetz nachsehen, sondern dies gleich nach der Zeitungslektüre tun, die für mich fest zum morgendlichen Ritual gehörte. Als Carol daher aufstand und begann, das Geschirr abzuräumen, griff ich nach meiner geliebten ›Münchner Neueste Nachrichten‹ und überflog die Überschriften auf der ersten Seite.
Grenzstreitigkeiten zwischen Kasachstan und Sibirien beigelegt. Völkerbundtruppen ziehen ab,
     
    lautete die Schlagzeile. Davon hatte ich schon gestern Abend im Fernsehen gehört. Obwohl die Welt im Großen und Ganzen friedlicher geworden war, gab es immer wieder solche kleine Auseinandersetzungen zwischen den Nachfolgestaaten des Zarenreiches, die jedoch in der Regel schnell und effizient von den Blauhelmen des Völkerbundes geschlichtet wurden, falls nötig auch unter Einsatz von Waffengewalt gegen beide Parteien. Glückliche Welt, dachte ich mir und fragte mich, weshalb es in der meinen nie gelungen war, die Vereinten Nationen mit entsprechenden Machtmitteln auszustatten.
    Auch der nächste Beitrag, der sich unter der Überschrift
Belgien vor dem Zerfall
     
    mit dem Sprachenstreit in jenem Mitgliedsland der Europäischen Föderation befasste, interessierte mich nicht sonderlich, und so blätterte ich weiter, überflog den Wirtschaftsteil, registrierte, dass der Eurotaler derzeit drei CSA-Dollar zwanzig wert war, und folgerte daraus befriedigt, dass der in Erwägung gezogene Urlaub in den CSA unsere Finanzen nicht übermäßig strapazieren würde.
    Den Lokalteil legte ich mir für später beiseite, überschlug die Sportmeldungen und nahm mir die letzte Seite mit den vermischten Meldungen vor. Und was ich da las, ließ mich zusammenzucken:
Geheimnisvoller Leichenfund in Buchwalde/Ostpreußen!
Auf dem Parkplatz eines Megamarktes in Buchwalde machten zwei Frauen, die dort ihre Einkäufe tätigen wollten, heute Morgen eine grausige Entdeckung. Mitten auf dem zur Morgenstunde noch wenig benutzten Parkplatz lag die Leiche eines etwa vierzigjährigen Mannes in einer zerfetzten, unbekannten, schwarzen Uniform. Der Mann wies schwere Verletzungen auf, die nach Augenschein von einem wilden Tier stammen könnten, da deutlich Krallenspuren zu erkennen sind. Das Genick des Toten ist offenbar infolge eines Tatzenschlages gebrochen. Die gerichtsmedizinische Untersuchung ist noch im Gange.
In den Taschen des Mannes fanden sich Ausweispapiere, darunter ein ›Wehrpass‹, der von der ›Kommandantur Danzig‹ eines ›Großdeutschen Reiches‹ ausgestellt ist, sowie Geldscheine mit der Bezeichnung ›Reichsmark‹ und Münzen mit der Bezeichnung ›Reichspfennig‹. Am rechten Handgelenk, das deutliche Schürfspuren aufweist, hing eine Handschelle, wie sie von der Polizei zur Sicherung von Festgenommenen benutzt wird.
Nach unbestätigten Aussagen handelt es sich bei den Krallenspuren um die eines Bären. Die Forstverwaltung erklärte jedoch, dass es in der Umgebung von Buchwalde seit

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