Nebenweit (German Edition)
und musste wohl auch so geklungen haben, als ich tapsig den Hörer abnahm und »Hello?« krächzte.
»It’s the aliens from Outer Space«, tönte Richards Stimme geradezu widerwärtig fröhlich aus dem Hörer. »Jetzt sag bloß, dass du geschlafen hast, anstatt dir unsere schöne Stadt anzuschauen. Kommst du runter? Ich warte in der Bar.«
Das versprach ich, bat allerdings um eine Viertelstunde Geduld, um mich wenigstens einigermaßen gesellschaftsfähig zu machen. Schließlich war dies England, wo sich die Leute zumindest in bürgerlichen Kreisen immer noch zum Dinner umzukleiden pflegten.
Richard saß an der Bar, das Urbild des englischen Gentleman: graue Flanellhose, auf Hochglanz gewienerte Tasselloafers, blauer Blazer mit Goldknöpfen, Einstecktuch und Regimentskrawatte; zumindest hielt ich seinen blau, weiß und rot gestreiften Binder für eine solche. Zum Glück brauchte er sich meiner nicht zu schämen, denn ich hatte mich ebenfalls in Schale geworfen und trug einen dunklen Nadelstreifenanzug mit dazu passendem Hemd und Krawatte. Richard hatte bereits ein Glas mit einer braunen Flüssigkeit vor sich stehen und bedeutete jetzt dem Barkeeper nach einem fragenden Blick auf mich, mich mit dem Pendant dazu zu versorgen, und prostete mir zu. »Welcome to Britannia«, sagte er und hob grüßend sein Glas. »Es sieht so aus, als könnte ich meinem alten Freund vom Kontinent helfen. Aber zuerst musst du erzählen. Ich habe unsere Gespräche in der Bar des Mayflower Renaissance in Washington wirklich vermisst. Die waren immer eine angenehme Abwechslung von der ewigen Fachsimpelei bei den Fakultätsabenden. Man trifft ja nicht so oft einen echten Raubritter aus der Wirtschaft, mit dem man sich auch mal über etwas anderes als Aktienkurse unterhalten kann«, fügte er mit einem süffisanten Grinsen hinzu, als ich ihn verwundert ansah. »Du weißt doch, dass wir Tommys von all den Euries euch Krauts am liebsten mögen. Wo doch auch unsere Royals miteinander verwandt sind und so. Mit den Froschfressern sind wir ja noch nie so richtig warm geworden.«
»Freut mich und danke der Nachfrage«, erwiderte ich. »Ich habe vor sechs Jahren meinen Hut genommen, weil ich mit dem neuen Vorstand nicht zurechtkam. Oder er mit mir, weiß der Himmel. Meist sind ja beide Teile schuld, wenn die Chemie nicht stimmt. Na ja, und seitdem könnte man sagen, dass ich privatisiere, denn das bisschen Schreiben, Technovisionsromane meine ich, zählt ja eigentlich nicht als Arbeit. Eigentlich führen wir ein ziemlich ruhiges, man könnte sogar sagen: langweiliges Leben. Die ersten Jahre nach meinem Ruhestand haben wir in München gewohnt und sind viel gereist, aber das ist uns inzwischen langweilig geworden, zumal das Reisen ja auch immer unangenehmer geworden ist …«
Mir fiel sein fragender Blick auf, und ich merkte, dass ich mich verplappert hatte. Offenbar machte das Reisen in dieser anscheinend kaum von Krisen und Terroristen gequälten Welt noch Spaß, und ich hätte vielleicht ebenso bequem mit dem Flugzeug nach London reisen können.
»Carol und ich sind ja beruflich schon ziemlich weit rumgekommen, und nach ein paar Wintern in Florida ist uns das Leben dort auch langweilig geworden«, beeilte ich mich, meinen Patzer zu korrigieren. Ja, und dann hat Carol sich plötzlich in dieses Haus in den Bergen verliebt. Es ist ja auch wirklich traumhaft und die Miete ist noch dazu spottbillig. Da sind wir eben umgezogen und fühlen uns in der gesunden Bergluft pudelwohl. Und wie sieht es bei dir aus?
»Na ja, wie es bei einem langweiligen Professor eben aussieht. Vorlesungen, Fakultätssitzungen, Arbeiten korrigieren, Seminare. Und wenn man Glück hat, hie und da ein Kongress irgendwo in der Welt mit mageren Spesen. Da habt ihr Manager ein wesentlich aufregenderes Leben. Apropos aufregendes Leben – also ganz so harmlos scheint deine Geschichte mit dieser Hütte ja nicht zu sein …«
Er sprach den Satz nicht zu Ende und sah mich fragend an. Wie ich Richard kannte, würde jetzt ein gnadenloses Verhör folgen, eines, aus dem es kein Entrinnen gab. Der Bursche besaß nämlich einen glasklaren Verstand und ließ sich nicht so leicht hinters Licht führen.
Der Oberkellner rettete mich, eine elegante Gestalt im Smoking, die fast lautlos von hinten herantrat und uns davon in Kenntnis setzte, dass unser Tisch bereit sei. Ich zeichnete die Barrechnung ab, obwohl Richard lautstark protestierte, und folgte dem Smokingträger ins Restaurant, einen
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