Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nebra

Nebra

Titel: Nebra Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Thiemeyer
Vom Netzwerk:
nicht geringem Einfluss. Mit seinen Beziehungen und seinen ausgezeichneten schulischen Leistungen war klar, dass dem jungen Michael eine große Karriere bevorstand. Es folgte der Besuch der polytechnischen Oberschule, der anschließende Wechsel auf die erweiterte Oberschule und der Endspurt zum Abitur. Ales lief wie am Schnürchen, nichts schien ihn noch aufhalten zu können. Bis zur elften Klasse. Bis zu dem Tag am Brocken, der alles veränderte. Michaels Leistungen fielen ab, er isolierte sich, wurde schweigsam und aggressiv. Wie die beiden anderen verlor auch er den Kontakt zu seinen Mitschülern und brach die Schule ab. Im Gegensatz zu seinen Leidensgenossen fiel er jedoch auf ein weiches finanzielles Polster. Seine Eltern spürten, dass es besser war, ihn nicht zu drängen, ließen ihm den nötigen Freiraum. Offenbar hegten sie die Hoffnung, dass er sich wieder fangen würde. Doch es kam anders. Eines Tages, kurz vor dem Mauerfall, verschwand er, tauchte einfach ab. Seine Spur verlor sich so plötzlich, dass nicht mal seine Eltern sich vorstellen konnten, was geschehen sein mochte. Sie vermuteten, dass er in den Westen gegangen war, doch sicher waren sie sich nicht. Es war eine Zeit des Hoffens und Bangens. Dann, nach etwa einem Vierteljahr, kamen erste Briefe. Zuerst aus Südafrika, später aus Neuseeland, dann folgten Argentinien und die USA. Es schien, als ob der junge Michael seinen Dämonen auf Reisen rund um die Welt zu entkommen suchte. Für seine Eltern schien das in Ordnung zu sein. Sie waren glücklich über das Lebenszeichen, schickten ihm sogar etwas Geld. Genug zum Überleben, doch zu wenig, um davon ein Leben im Luxus führen zu können. Schließlich wollten sie ihn ja zurückhaben. Nach etwa einem Jahr kam ein langer Brief. Er habe jemanden kennengelernt, schrieb er und bat darum, die Zahlungen einzustellen. Es ginge ihm gut, er wisse jetzt, was er mit seinem Leben anfangen wolle, man solle sich keine Sorgen machen, und so weiter. Dann kam nichts mehr. Vollkommene Funkstille. Niemand wusste, wo er war oder was er tat.
    1998, beinahe auf den Tag genau zehn Jahre nach dem Ereignis am Berg, tauchte er wieder auf. Er hatte sich in den USA niedergelassen, hatte sein Abitur nachgeholt und studiert -Kunstgeschichte und Rechtswissenschaften -, hatte promoviert und seinen Doktortitel magna cum laude in Rekordzeit geholt. Ein Mann, der in der Politik oder der Wirtschaft eine glänzende Karriere hingelegt hätte. Doch statt zu bleiben, wo er war, kam er zurück nach Deutschland. Sein Vater war in-zwischen an den Folgen einer Leberzirrhose gestorben. Die Taschen voller Geld, ließ er sich in Berlin nieder und gründete eine Anwaltskanzlei mit Schwerpunkt Wirtschaftskriminalität. Die Geschäfte liefen blendend, besonders in Hinblick auf die Wiedervereinigung mit all ihren Fehlspekulationen, Schmiergeldaffären und Betrügereien. Schon bald lief der Laden so gut, dass von Stetten die Geschäfte seinem Partner überantworten konnte und sich fortan nur noch um repräsentative Aufgaben kümmerte. Er konnte sich voll und ganz seiner wahren Leidenschaft widmen: der Erforschung der Vergangenheit. Besonders die Geschichte des Harzes hatte es ihm angetan. Kaum verwunderlich, nach dem, was er erlebt hatte. Ich verfolgte seine Karriere nur am Rande. Ich konnte verstehen, dass er mehr über das herausfinden wollte, was damals mit ihm geschehen war. Jeder von uns hätte das getan. Aber dann geschah etwas Merkwürdiges.« »Jetzt bin ich aber gespannt.«
    »Er verschwand ein zweites Mal von der Bildfläche. Ich erfuhr davon aus der Zeitung. Es gab eine Vermisstenanzeige seines Geschäftspartners. Michael war über Wochen hinweg nicht auffindbar. Er hatte keine Nachricht hinterlassen, keinen Brief, nicht mal einen kurzen Anruf. Er war einfach weg. Ich wurde neugierig. Hatte er tatsächlich etwas gefunden? War er seinen Entführern auf die Spur gekommen? Aber warum war er dann nicht mehr auffindbar? Mit Sorge wartete ich auf weitere Informationen. Immerhin bestand ja die Möglichkeit, dass man ihn beseitigt hatte, um sich vor einer eventuellen Entdeckung zu schützen. Ich stand kurz davor, selbst in den Fall einzugreifen, als der Kerl wieder auftauchte. Über einen Monat nach seinem Verschwinden. Natürlich wurde er befragt. Ich selbst nahm ihn ins Verhör. Er sagte, er habe an einer Art von Burn-out-Syndrom gelitten, habe sich für eine Weile aus dem Staub machen müssen, um sich zu erholen. Wenn Sie mich fragen: alles

Weitere Kostenlose Bücher