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Nebra

Nebra

Titel: Nebra Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Thiemeyer
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griff zu und ließ sich Feuer geben. »Ist seit zwanzig Jahren die erste.« Sie nahm einen tiefen Zug, inhalierte den Rauch und behielt ihn in der Lunge. Die ersten Sekunden waren schmerzhaft, doch dann war es, als würden sich ihre Lungenbläschen an das Gefühl erinnern. Die Synapsen öffneten sich und ließen das Nikotin andocken. Sie spürte einen leichten Anfall von Schwindel. »Sind das alles nur Vermutungen, oder haben Sie Beweise? Haben Sie Ihre Kollegin Ida Benrath bereits darüber informiert?«
    Pechstein lächelte. »Sie sind die Erste, mit der ich darüber so offen rede. Aber im Zuge der Ermittlungen werde ich Ida meine Unterlagen natürlich zur Verfügung stellen. Ida hat keine Ahnung, was ich in all den Jahren zusammengetragen habe. Das wird eine Bombe, darauf können Sie wetten.« Hannah schüttelte den Kopf. »Ihre Theorie hat ein Loch.« »Ich habe doch noch gar keine Theorie geäußert.« »Es ist doch klar, worauf Sie hinauswollen. Sie verdächtigen Michael von Stetten des Einbruchs. Sie behaupten, er hätte mit dem Fall etwas zu tun, stünde vielleicht sogar in Verbindung mit diesen Sektierern, mit diesem ... diesem durchgeknallten Wolfspack.«
    Pechstein hielt den Kopf schief. »Interessant, dass Sie von selbst darauf kommen. Ist es wirklich so offensichtlich?« »Es ist trotzdem unmöglich«, sagte Hannah mit leiser Stimme. »Er hatte die Gelegenheit zum Diebstahl bereits. Ich habe sie ihm gegeben.«
    Pechstein steckte sich ebenfalls eine Zigarette an. »Sie meinen, als Sie ihn ins Allerheiligste mitgenommen haben? Das war in der Tat höchst leichtsinnig von Ihnen. Er hätte Sie niederschlagen und sich die Scheibe aneignen können, in dem Au-genblick, in dem Sie die Tresortür geöffnet haben.« »Was er aber nicht getan hat.«
    »Was er nicht getan hat, richtig.« Pechstein stieß eine Qualmwolke aus. »Hätte ich es auf die Scheibe abgesehen, das wäre der Moment gewesen, an dem ich zugeschlagen hätte.« »Da ist noch mehr. Aber das wissen Sie vermutlich, wo Sie doch so ein guter Schnüffler sind.« Hannah schnippte die Asche in den Becher.
    »Dass Sie an diesem Abend bei ihm waren? Dass Sie bei ihm übernachtet haben? Ja, allerdings.« Pechsteins Lächeln war verschwunden. Stattdessen war ein Ausdruck von Sorge auf seinem Gesicht erschienen. Er legte seine Hand auf ihren Arm, und sie spürte seine rauhen, rissigen Finger. Obwohl ihr das Gefühl unangenehm war, brachte sie nicht die Kraft auf, ihn wegzuschieben. Es war, als habe eine plötzliche Taubheit von ihr Besitz ergriffen. »Wir haben uns geliebt in dieser Nacht«, sagte sie in einem Anflug von Offenheit. Der Ex-Kommissar schien ohnehin alles zu wissen, da machte es keinen Unterschied. »Ich war ihm so nah, wie man einem Menschen nur sein kann. Ich hätte gespürt, wenn er mich nur ausgenutzt hätte. Mag sein, dass ich nicht die große Menschenkennerin bin. Mag sein, dass meine Umgangsformen in den Jahren der Einsamkeit etwas eingerostet sind, aber ich schwöre, ich hätte gemerkt, wenn es Michael von Stetten nur um die Scheibe gegangen wäre. Kein Mensch kann in so einer Situation sein Pokerface wahren. Niemals. Ich hätte es gemerkt.« Pechstein nickte und zog seine Hand zurück. »Wissen Sie was? Das glaube ich Ihnen sogar. Und zu Ihrer Erleichterung kann ich Ihnen mitteilen, dass es Argumente gibt, die für Sie sprechen. Ich habe von Stettens Alibi überprüfen lassen. Es scheint wasserdicht. Er hat zum Zeitpunkt der Tat einen Empfang gegeben für seinen Kulturförderverein. Es gibt Dutzende Zeugenaussagen, die seine Anwesenheit bestätigen.« Er kratzte nachdenklich mit dem Fingernagel über das bierfleckige Holz. »Es ist natürlich möglich, dass diese Leute allesamt zum Kreis der Verschwörer gehören, doch so etwas nachzuweisen, dürfte schwierig werden.«
    »Könnte es nicht auch sein, dass die jahrelange Beschäftigung mit diesem Fall Ihr Urteilsvermögen getrübt hat?«, fragte Hannah. »Möglich«, sagte Pechstein. »Vielleicht habe ich mich in diesen Fall tatsächlich zu sehr hineingesteigert. Vielleicht habe ich mich diesmal schlicht und ergreifend geirrt.«
    Hannah beobachtete ihn genau. Sie wartete förmlich darauf, wieder diesen ironischen Ausdruck in seinem Gesicht zu sehen, doch Pechsteins Gesicht blieb ernst und nachdenklich. Als deutlich wurde, dass er nichts mehr zu sagen hatte, hielt Hannah den Zeitpunkt für gekommen, das Gespräch zu beenden.
    »Das haben Sie«, sagte sie und drückte ihre Zigarette aus.

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