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Nebra

Nebra

Titel: Nebra Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Thiemeyer
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und Labors ausgelagert und das Museum in den Zustand zurückgeführt worden war, für den es im Jahre 1911 erbaut worden war. Als reines Ausstellungsgebäude. So alt und ehrwürdig es von außen auch wirken mochte, innen war es luftig, hell und vor allem modern. Nach neuesten pädagogischen Prinzipien konzipiert, führte die Ausstellung den Besucher von der frühen Mensch-werdung bis zum Ende des Mittelalters. Angereichert mit lebensecht wirkenden Rekonstruktionen, Landschaftsmodellen, farbigen Schautafeln und interaktiven Elementen, konnte das Museum durchaus mit vergleichbaren Ausstellungen in Lon-don oder Paris mithalten. Ein Vorzug, den vor allem Kinder zu schätzen wussten. Lachend und quiekend rannten einige von ihnen um den »Denker«, einen Vorfahren des Neandertalers, der so versonnen in die Ferne blickte, dass man ihn ungern dabei stören mochte.
    Immer noch in Gedanken versunken, stieg Hannah die Treppe zum zweiten Stock empor. Dort, im Südwestflügel, lag die Abteilung Bronzezeit. Das Herzstück der Sammlung. Hier waren die schönsten Stücke versammelt, die in den letzten hundert Jahren in dieser Region gefunden worden waren. Und das waren nicht eben wenige. Schwerter, Schmuck, Kleidung und Musikinstrumente reihten sich neben Töpferwaren und Kunstgegenständen. Auch eine Replik des Sonnenwagens von Trundholm war hier ausgestellt, ein Objekt, das so schön war, dass es im museumseigenen Shop in einer Miniaturausführung bereits hundertfach verkauft worden war.
    Die Himmelsscheibe von Nebra befand sich nur noch eine Armlänge von ihr entfernt. Auf eine spezielle Art beleuchtet, sah sie aus wie ein Zeuge aus einer anderen Welt. Der Fotograf, der gleichzeitig Lichtkünstler war und für die Beleuchtung des gesamten Museums verantwortlich war, hatte dem Herz der Sammlung besondere Aufmerksamkeit gewidmet. Streiflichter ließen jedes Detail hervortreten. Man glaubte das Metall durch eine Lupe zu sehen, so überdeutlich zeichneten sich Linien, Falten und Oberflächenstrukturen ab. Hannah war die Scheibe inzwischen so vertraut, dass sie die Unebenheiten beinahe mit den Fingern spüren konnte. Das rauhe korrodierte Kupfer, die scharfkantigen Blattgoldbeschläge, die runden Stanzlöcher. Was für ein Meisterstück handwerklicher Metallverarbeitungskunst. Was mochte dieses Objekt für ein Geheimnis bergen, dass es so anziehend auf die Menschen wirkte? Welchen tieferen Sinn hatten seine Schöpfer verfolgt? Hannah schrak auf. Ihr Handy klingelte. Mit einem Blick auf das Display ging sie ein paar Schritte, bis sie an der Balustrade stand, von der aus man in den überdachten Innenhof blicken konnte, dann drückte sie den grünen Hörer. »Ja? Hallo?« »Hannah?« Es war John.
    Sie hätte nicht damit gerechnet, seine Stimme so bald wieder zu hören. Seine Stimme kam mit beträchtlicher Verzögerung und zudem ziemlich verrauscht. Sie musste sich das linke Ohr zuhalten, um ihn zu verstehen. »Hast du einen Moment Zeit?«
    Sie seufzte. »Was ist denn? Es ist gerade ein ungünstiger Moment.«
    »Verstehe.« Die Verbindung wurde kurzzeitig durch ein heftiges Knacken unterbrochen, dann war seine Stimme wieder zu hören.
    »... habe dir eine Mail geschickt. Das Bild solltest du dir mal ansehen ... könnte für deine Arbeit ganz interessant sein.« »Ein Bild? Was für ein Bild?«
    Sie glaubte ein Lachen am anderen Ende der Leitung zu hören.
    »Lass dich überraschen.«
    Hannah legte auf, verließ das Museumsgebäude durch den Hintereingang und ging über den Hof. Die Labors und Werkstätten lagen in einem Neubau, der an den nordwestlichen Flügel des Museums angrenzte. Sie überquerte einen Parkplatz und ging auf einen flachen, zweistöckigen Neubau zu, zu dem das Schild Technische Labors der Universität Halle wies. Sie griff in die Brusttasche, entnahm eine Magnetkarte und zog sie durch das Lesegerät rechts neben dem Eingang. Dann durchschritt sie die elektronisch gesteuerte Sicherheitstür und betrat das Innere. An der Decke befanden sich Videokameras. Die Fenster waren mit Wärmesensoren gesichert. Kleine Öffnungen, zehn Zentimeter über dem Boden, deuteten auf lasergestützte Bewegungsmelder hin. So unscheinbar dieses Gebäude auch aussah, es war in Wahrheit ein einziger Safe. Immer noch hing der Geruch nach frischer Farbe in der Luft. Rechts vom Gang lag der große Werkraum. Hier wurden Fundstücke von Schmutz und Ablagerungen befreit, präpariert und haltbar gemacht. Hier wurden aber auch Abgüsse gemacht, die

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