Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nebra

Nebra

Titel: Nebra Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Thiemeyer
Vom Netzwerk:
schlimm also?«
    »Schlimmer. Es war ...«, sie zögerte. »Nein, das werde ich jetzt lieber nicht sagen, schließlich hängt Ihr Herz ja an dieser Gegend.«
    »Wo waren Sie denn?«
    »Oben auf dem Brocken, wo sonst?«
    Michael von Stetten verschluckte sich beinahe an seinem Bier. »Heute? So kurz vor Walpurgis? Sind Sie noch zu retten? Von wo aus sind Sie denn gestartet?« »Von Schierke.«
    »Großer Gott. Sie haben mein vollstes Mitgefühl.« Hannah kam sich mit einem Mal schrecklich dumm vor. »Hätten Sie einen besseren Vorschlag gehabt?« »Ob ich ...?« Er wischte sich einen Tropfen aus dem Mundwinkel. »Aber natürlich hätte ich. Wenn mir klar gewesen wäre, was Sie vorhaben, hätte ich Sie gewarnt und Ihnen einen Weg empfohlen, der nicht so überlaufen ist.« »Also gut, ich gebe es zu, ich habe einen Fehler gemacht. Was hätten Sie mir empfohlen? Vielleicht den Hexenplatz in Thale?«
    Das Entsetzen auf seinem Gesicht wirkte nicht gespielt. »Das wird ja immer schlimmer«, sagte er. »Haben Sie denn aus dem heutigen Desaster nichts gelernt?« Er überlegte kurz, dann sagte er: »Ich mache Ihnen einen Vorschlag. Zuerst mal lassen Sie uns zum Du wechseln. Ich komme mir mit dem förmlichen Sie immer so spießig vor.«
    »Sehr gern ... Michael.« Sie hielt den Kopf schief. »Und dann?«
    »Dann möchte ich dich zu einer Wanderung einladen. Gleich morgen früh. Es gibt hier eine Menge Orte, an die man als Normalsterblicher nicht so einfach gelangt. Wäre doch gelacht, wenn ich dich nicht vom Zauber dieser Gegend überzeugen könnte.«
     
     
13
    Mittwoch, 23. April
     
    Der Nebel ließ die umliegenden Felsbrocken in den frühen Morgenstunden wie gewaltige Trolle erscheinen. Finster und bedrohlich ragten sie rechts und links des Weges in die Höhe. Nass glänzende Moospolster hingen wie zottige Barte an ihnen herab, und die Flechten wirkten wie Haare an einer Wasserleiche.
    Die Feuchtigkeit schien förmlich aus dem Boden zu kriechen. Sie stieg aus jeder Öffnung, jedem Spalt und jedem Loch. Sie strich um die mächtigen Stämme der Buchen und ließ sich auf Blättern, Gräsern und Kräutern nieder wie der kalte Atem ei-nes mächtigen Riesen.
    Während Hannah den Pfad erklomm, musste sie darauf achten, nicht auf einen jener glitschigen, von Moos bedeckten Steine zu treten, die ihr immer wieder den Weg versperrten. Sie war bereits einmal abgerutscht und hatte sich trotz ihrer halbhohen Wanderschuhe den Knöchel angeschlagen. Nicht noch einmal. Zudem packte sie der Ehrgeiz, als sie sah, mit welcher Leichtigkeit Michael den Pfad erklomm. Er bewegte sich so geräuschlos und geschmeidig, als wäre er ein Teil dieses Waldes.
    Zu Beginn ihrer Wanderung, am Fuß der Steinernen Renne, hatten sie noch ihre Taschenlampen gebraucht. Mittlerweile war es so hell geworden, dass es ohne sie ging. Das Licht war zwar immer noch schummerig, aber es reichte aus, um zu erkennen, in was für eine wilde Gegend sie geraten waren. Nach weiteren fünfzehn Minuten blieb sie stehen. »Warte mal einen Augenblick«, schnaufte sie. »Ich glaube, ich brauche eine kleine Pause.«
    Michael blieb stehen, weiße Dampfschwaden ausstoßend. »Was denn, jetzt schon?«
    »Ja«, keuchte sie. »Ich bin völlig aus der Puste.« Sie lehnte sich gegen einen mannshohen Felsen.
    Lächelnd kam er zu ihr herunter. »Von mir aus gern. Gegen einen Kaffee habe ich nichts einzuwenden. Hier. Setz dich da drauf.« Er zog eine Sitzunterlage aus seinem Rucksack und blies etwas Luft hinein. »Damit holt man sich keinen kalten Hintern«, sagte er, während er die Matte auf einen Stein legte. Hannah nahm die Einladung dankbar an. Im Nu hatte er eine Thermoskanne hervorgezaubert und schenkte ihr eine Tasse duftenden Kaffee ein. Hannah nippte daran und blickte sich um. »Schön ist es hier«, konstatierte sie, als sie fühlte, wie das warme Getränk neue Kraft spendete. »Genau so, wie ich mir den Wald in den Märchen immer vorgestellt habe. Würde mich nicht wundern, wenn hier gleich eine Horde singender Zwerge hinter dem nächsten Baum hervorkommt.« »Höre ich da etwa Ironie heraus?« Michael schenkte sich ebenfalls eine Tasse ein. »Ich habe mich übrigens mal umgehört wegen des seltsamen Leuchtens gestern Abend. Also ein Feuerwerk war das nicht.«
    »Vielleicht ein Hexensabbat«, sagte sie mit einem schiefen Lächeln. »Ein Haufen wilder Weiber, die sich schon mal für den großen Abend warm machen.«
    Michael schüttelte den Kopf. »Je länger wir uns unterhalten,

Weitere Kostenlose Bücher