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Nebra

Nebra

Titel: Nebra Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Thiemeyer
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sie berühren?«
    Hannah lächelte. »Du darfst sie sogar hochnehmen. Allerdings nicht ohne die hier.« Sie reichte ihm ein Paar weiße Handschuhe.
    Zaghaft berührten seine Finger das Metall, glitten über die Ränder, tasteten über Buckel und Vertiefungen. Als er die Scheibe von allen Seiten betrachtet hatte, nahm er seinen ganzen Mut zusammen und hob sie hoch. Sie wog weniger, als er erwartet hatte. Gewiss, Bronze gehörte nicht gerade zu den schweren Metallen, aber irgendwie war er davon ausgegangen, dass eine Scheibe von derart historischer Bedeutung mehr Gewicht haben müsse. Vielleicht hatte er auch erwartet, dass etwas von dem Metall ausgehen möge, etwas Magisches, Überirdisches, etwas, das die ganze Aufregung erklären konnte. Doch es war das, was es schon immer gewesen war - ein Stück unbelebtes Metall.
    Er hielt sie gegen das Licht und versuchte, irgendwelche Spuren zu entdecken. Details, die auf den Fotos vielleicht nicht zu sehen waren. Doch da war nichts. Als er die Stelle betrachtete, an der die Grabräuber sie mit der Schaufel beschädigt hatten, war ihm, als berühre er eine Wunde.
    »Vorsicht, schneide dich nicht«, sagte Hannah. »Die Ränder sind ziemlich scharf.«
    Er betrachtete die Scheibe noch eine Weile, dann gab er Hannah das Kleinod zurück. Vorsichtig legte sie es zurück an seinen Platz.
    Michael war ein wenig enttäuscht. Irgendwie hatte er mehr erwartet. Aber was? Einen magischen Gegenstand in Händen zu halten? Zeuge eines unerklärlichen Phänomens zu werden?
    Was für eine absurde Vorstellung.
    Hannah schlug die Scheibe wieder in den Stoff, dann schloss sie das Schubfach. Gemeinsam trugen sie es zurück und schoben es in den Schrank. »Und?«, fragte sie.
    »Sie ist wunderschön. Danke, dass du sie mir gezeigt hast. Sie nach so langer Zeit endlich einmal persönlich in Augenschein zu nehmen, macht mich irgendwie ... sprachlos.« Er lächelte entschuldigend.
    »Kein Problem«, winkte sie ab. »Möchtest du sonst noch etwas sehen? Die Reproduktion vielleicht, an der Bartels gerade arbeitet?«
    Er schüttelte den Kopf. Eine peinliche Stille trat ein. Hannah blickte auf die Uhr. »Verdammt, schon nach halb zwölf. Ich muss mich dringend wieder an die Arbeit machen. Es gibt noch einen Haufen Dinge zu erledigen, ehe ich nach Schottland fliege.«
    »Richtig«, sagte er. »Das hatte ich fast vergessen. Wann geht's los?«
    »Morgen Abend. Ich muss mir noch ein paar warme Sachen zum Anziehen kaufen. Ich habe kaum noch was im Schrank.« »Verstehe.«
    Hannah nickte. »Dann wollen wir mal. Übrigens, ich hoffe, es stört dich nicht, dass du jetzt auf unseren internen Videodateien erscheinst.«
    Michael hob die Augenbrauen, und Hannah deutete auf einen kleinen grauen Kasten, der beinahe unsichtbar mit der Ecke des Raumes verschmolz. An seinem unteren Ende leuchtete ein grünes Licht.
    »Die Kamera beobachtet rund um die Uhr, wer hier ein und aus geht. Jedes Mal, wenn ich hier runterkomme, fühle ich mich wie in einem Agentenfilm. Diese ganzen Schlösser, Kameras und Sicherheitsabfragen ...« Sie schüttelte den Kopf. »Ein beträchtlicher Sicherheitsaufwand für so ein kleines Stück Metall, findest du nicht?«
    »Beträchtlich schon, aber meines Erachtens nicht ausreichend«, sagte Michael.
    Hannah zog die Stirn kraus. »Ist das dein Ernst? Hast du nicht gesehen, welchen Zirkus ich veranstalten musste, um hier hereinzukommen? Magnetkarte, Tresorschlüssel und Zahlencode. Abgesehen davon, dass dieser Tresorraum rundum aus Massivbeton gefertigt wurde. Ich bekomme jedes Mal klaustrophobische Zustände, wenn ich hier drin bin. Eine Bombe könnte das Gebäude über unseren Köpfen pulverisieren, wir wären trotzdem geschützt. Und du sagst, es würde nicht ausreichen?«
    Michael musste lächeln. Hannah verteidigte alles, was mit ihrer Arbeit zu tun hatte, mit der Hartnäckigkeit einer Löwenmutter. Das war umso überraschender, als sie eben noch Fu Cheng gegenüber erwähnt hatte, wie schlecht es bei ihr gerade lief.
    »Ich sage es ungern«, entgegnete Michael, »aber eure Sicherheitsabfrage scheint mir unzureichend zu sein.« »Wieso das?«
    »Nun, ich bin kein Experte in diesen Dingen, aber theoretisch wäre eine einzige Person in der Lage, hier einzudringen und die Scheibe zu entwenden.«
    »Vorausgesetzt, sie verfügt über die Magnetkarte, den Schlüssel und den Code. Und vorausgesetzt, sie weiß, dass das Original sich nicht im Museum, sondern hier unten befindet«, sagte Hannah.
    Michael

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