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Nebra

Nebra

Titel: Nebra Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Thiemeyer
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schüttelte den Kopf. »Selbst der Safe in unserer Kanzlei ist sicherer. Doppelte Personenabfrage, verstehst du?« Sie öffnete den Mund, um ihm zu widersprechen, aber dann schien sie es sich anders zu überlegen. »Hast ja recht«, lenkte sie ein. »Und zu deiner Beruhigung: Mein Chef sieht das genauso. Als die Versicherungssumme auf zehn Millionen angehoben wurde, hat er eine neue Anlage beantragt. Sie wird im Herbst eingebaut.« »Wenn das mal reicht.«
    Sie verschränkte die Arme vor der Brust. »Kann es sein, dass du ein bisschen paranoid bist? Du tust gerade so, als hättest du Angst, die Scheibe könnte schon morgen gestohlen werden.«
    »Vielleicht bin ich nicht paranoid genug.« »Mir scheint eher, dass es etwas mit deinem Job zu tun hat. Umgeben von zu viel krimineller Energie, wenn du verstehst, was ich meine. Mach dir mal keine Sorgen, bis zum Herbst wird hier schon niemand einbrechen.« Sie wirkte ungeduldig. »Hast du noch andere Fragen?«
    Er spürte, wie ihm das Blut zu Kopf stieg. Allerdings hatte er noch eine Frage - eine sehr persönliche sogar. »Ich würde dich gerne heute Abend zum Essen einladen. Bei mir zu Hause. Ich koche«, fügte er noch schnell hinzu. Hannah bedachte ihn mit einem amüsierten Blick. »Du kochst? Klingt interessant.«
    Sie tat so, als müsse sie überlegen. Vermutlich als Strafe, weil er es gewagt hatte, Kritik zu üben. Die Sekunden zogen sich in die Länge. Michael spürte, wie seine Handflächen feucht wurden.
    »Also gut«, sagte sie endlich und mit einem Augenaufschlag, der einen Eisberg zum Schmelzen hätte bringen können. »Überredet. Wenn es dir passt, komme ich so gegen sieben, sobald ich mit meiner Arbeit fertig bin.«
     
     
20
     
    Die Abenddämmerung hatte gerade eingesetzt, als zwei Gestalten hinter dem Gipfel der Achtermannshöhe auftauchten. Näher und näher kamen sie und wuchsen langsam empor, bis ihre Körper sich deutlich als schwarze Umrisse vor dem stetig dunkler werdenden Himmel abzeichneten. Zwei Wanderer, eingehüllt in dicke Jacken und dunkle Mützen, die Rückschlüsse weder auf das Alter noch auf das Geschlecht zuließen. Erst als sie näher kamen, wurde deutlich, dass es sich um eine Frau und einen Mann handelte, beide um die vierzig. Sie trugen Umhängetaschen, Wanderschuhe, Handschuhe sowie schwere Ferngläser, die bei jedem Schritt auf ihren Jacken federten.
    Die Frau blieb stehen und blickte sich um. Wie schon in den letzten Tagen war auch heute der Himmel wieder in Aufruhr. Der Brocken selbst war zwar von einer dicken Schicht Wolken verhangen, aber das Abendrot strahlte durch einen schmalen Spalt am Horizont und beleuchtete die Unterseite der Wolken, die wie blutrote Säcke am Himmel hingen. Unheilschwanger hingen sie über dem Berg, bereit, ihre nächtliche Regenlast abzuwerfen.
    »Wow, sieh dir das an«, flüsterte sie ihrem Begleiter zu. »Wie sie sich bewegen. Ist das nicht phantastisch?« »Schade, dass ich meine Videokamera nicht dabeihabe«, seufzte der Mann.
    »Mach dir nichts vor«, entgegnete die Frau. »Mehr als ein paar verwackelte rote Flecken wirst du kaum bekommen. Das Licht ist einfach zu schwach.«
    »Kannst recht haben«, sagte er. »Meinst du, wir bekommen heute das Wetterleuchten wieder zu sehen?« »In den Nachrichten haben sie gesagt, dass es durchaus noch ein paar Nächte anhalten kann. Scheinbar wissen die Meteorologen immer noch nicht genau, was es ist.« »Ich tippe auf Polarlichter«, erwiderte er. »Die sind zwar in unseren Breiten recht selten, aber ab und zu sieht man mal welche. Das war gestern ein verdammt beeindruckender Anblick.« Die Frau nickte und schob ihre Mütze zurecht. Zu dieser Stunde mochte sie die Achtermannshöhe am liebsten. Jetzt, da die Touristen und Wanderer in den warmen Wirtsstuben saßen, kehrte die Einsamkeit wieder zurück. Mit einem letzten Blick auf die roten Wolken schickte sie sich an weiterzugehen. Plötzlich bemerkte sie aus den Augenwinkeln heraus eine Bewegung. Da war eine dunkle Gestalt, kaum hundert Meter entfernt, am unteren Ende des Waldes zu erkennen. Eine ausgesprochen große dunkle Gestalt. Sie berührte den Mann am Arm und deutete darauf. »Schau mal«, flüsterte sie. »Was ist das?« Der Mann hob das Fernglas an seine Augen. »Und?«
    »Keine Ahnung«, sagte er. »Vielleicht eine Holzbank. Bei der schlechten Sicht ist alles möglich.«
    »Holzbank, Quatsch, es bewegt sich doch.« Sie suchte nach Orientierungspunkten. Endlich hatte sie einen gefunden. »Siehst du den

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